Der literarische Kampf ums Menschenrecht

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Der Kampf um die Menschenrechte dauert auch nach dem 1. Mai an. (Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Völker, hört die Signale!“ Wird die Welt nach der Corona-Krise noch ungerechter? In der Schweiz besitzt das reichste Prozent der Bevölkerung über 42 Prozent aller Vermögen. Wird nun die Coronakrise mit Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit diese Schere noch mehr öffnen? Dies würde dann pro Monat minus 300 Franken ausmachen für die untersten sozialen Schichten. Und plus 300-400 Franken für die Teppich-Etagen. Dabei handelt es sich um Schätzungen des Gewerkschaftsbundes. „Die Welt wird nach der Pandemie noch ungerechter und gefährlicher sein als vorher“, so die Analyse der Gewerkschafter*innen. Die harschen Töne erinnern an frühere Arbeitskämpfe der Linken. Der 1. Mai ist dazu angetan, sich an den steinigen Weg zu erinnern, den die Arbeiterbewegungen gehen mussten, um sich Menschenrechte zu erkämpfen. Mit Liedern und Texten befeuerte die sozialistische Arbeiterbewegung den Kampf um die Menschenrechte.

„Völker, hört die Signale! Auf zum letzten Gefecht! Die Internationale erkämpft das Menschenrecht.“

Kampflied der sozialistischen Internationale

Die Internationale ist das Kampflied der sozialistischen Arbeiterbewegung, die sich dem proletarischen Internationalismus verpflichtet fühlt. Der Text basiert auf dem marxistischen Motto „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“ Der ursprünglich in französischer Sprache abgefasste Text des Lieds stammt bereits aus dem Jahr 1871. Verfasst hatte ihn der Dichter Eugène Pottier. Sein Text entstand nach der gewaltsamen Niederschlagung der Pariser Kommune in eben diesem Jahr 1871. Pottier bezog sich dabei auf die Internationale Arbeiterassoziation (IAA), auf den ersten übernationalen Zusammenschluss von verschiedenen, politisch unterschiedlichen Gruppierungen der Arbeiterbewegung, die 1864 von Karl Marx ins Leben gerufen worden war. Die Melodie der „Internationale“ komponierte der Belgier Pierre Degeyter, der Dirigent des Arbeitergesangsvereins von Lille, im Jahr 1888. Seither gilt das Lied als Hymne der Arbeiterklasse. Es ist in fast alle Sprachen dieser Welt übersetzt worden. In der DDR galt „Die Internationale“ bis zur Wiedervereinigung als Nationalhymne, ebenfalls in der damaligen Sowjetunion, welche „Die Internationale“ bis 1943 zur Nationalhymne erhob. Bei der Übersetzung des Kampflieds aus dem Französischen ins Deutsche hat sich jedoch ein kleiner, aber historisch bedeutsamer Fehler eingeschlichen. Der Text lautet auf Französisch:

„C’est la lutte finale: Groupons-nous, et demain, l’Internationale sera le genre humain!“

Der Refrain im französischen Original

„Das Menschenrecht“ oder „Des Menschen Recht“? Als Eugène Pottier im Jahr 1871 die Urfassung des Lieds in französischer Sprache vorlegte, existierte „das Menschenrecht“ noch nicht. „Die Allgemeine Erklärung der Menschrechte“ erfolgte erst im Jahr 1948, folglich lässt sich auch erst seit der Proklamation der Menschenrechte ab 1948 von einem „Menschenrecht“ sprechen. Eine adäquate Übersetzung ins Deutsche müsste also lauten: Die Internationale erkämpft DES Menschen Recht. Man mag das für eine Spitzfindigkeit halten. Die deutsche Übersetzung von Emil Luckhardt aus dem Jahr 1910 gibt den französischen Originaltext lediglich sinngemäss, abgeschwächt und romantisiert wieder. Historisch ist jedoch bedeutsam, dass der Weg zur Proklamation der Menschenrechte im Jahr 1948 ein langer und beschwerlicher war. Der deutsche Musikmanager Hans R. Bierlein erwarb im Jahr 1972 die Rechte an Musik und Text der „Internationalen“ von einem französischen Verlag für 5’000 DM. Für deren Verwendung als Nationalhymne bezahlte die DDR pro Jahr Lizenzrechte von 20’000 Mark. In der DDR-Fassung der Internationalen wird konsequenterweise „für des Menschen Recht“ gekämpft und nicht „für das Menschenrecht“.

Die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ wurde 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Sie hat einen universalen und globalen Anspruch, ist jedoch formalrechtlich nicht bindend. Der Weg dazu war lang und steinig. Das Mittelalter kannte noch keine persönlichen Freiheiten für alle. Die berühmte „Magna Charta Libertatum“ von 1215 enthielt erstmals den zukunftsweisenden Satz „Kein freier Mann soll verhaftet oder eingekerkert oder um seinen Besitz gebracht oder geächtet oder verbrannt oder sonst in irgendeiner Weise ruiniert werden (…), es sei denn auf Grund eines gesetzlichen Urteils.“ Dass sich die Staatsgewalt an Recht und Gesetz zu halten habe, wurde erstmals in der „Habeas-Corpus-Akte“ von 1679 formuliert. Die erste Menschenrechts-Erklärung entstand während der Auseinandersetzung der Kolonisten in Amerika, der Neuen Welt, mit dem englischen Mutterland im 18. Jahrhundert. Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 war ein Vertrag zwischen Volk und Regierung. Sie hielt erstmals fest, dass „alle Menschen von Natur aus in gleicher Weise frei und unabhängig seien und bestimmte angeborene Rechte besitzen.“ Erst 1789 war die Stunde gekommen für die französische Menschenrechts-Erklärung. Beraten von Thomas Jefferson, dem Schöpfer der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, legte der Marquis de Lafayette den Entwurf zur „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ vor. Immer noch bezog sich die Deklaration lediglich auf die Gleichheit aller (männlichen) Bürger. Die Revolutionsarmeen trugen dann die Losung von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ in viele Staaten Europas.

Karl Marx und Friedrich Engels lehnten als Sozialisten den Staat radikal ab. Sie bekämpften auch die liberale Menschrechts-Idee. Marx kritisierte insbesondere, dass das Recht auf Eigentum zum Menschenrecht erkoren worden sei. Menschenwürde sei nicht in der Freiheit des Eigentums, sondern in der Freiheit vom Eigentum zu erreichen. Das Heil der Menschheit sah er in der Schaffung einer klassenlosen Gesellschaft. Trotzdem bekannten sich auch radikale Sozialisten wie Marx grundsätzlich zur Menschenrechts-Idee. Das Arbeiterkampflied sollte in diesem Sinn keine Zweifel aufkommen lassen, um welches Recht es sich handelt: „Völker, hört die Signale! Auf zum letzten Gefecht! Die Internationale erkämpft das Menschenrecht!“

Text und Bild: Kurt Schnidrig