Warum ist der Mai ein „Wonnemonat“?

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„Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus…“ – Dichter, Schriftsteller und Liedermacher schwärmen vom Wonnemonat Mai. (Foto: Kurt Schnidrig)

Der Begriff „Wonnemonat“ erklärt sich eigentlich von selbst. Allerdings ist der Begriff etymologisch nicht korrekt. Das Wort „Wonnemonat“ geht zurück auf althochdeutsch (8. bis 11. Jh.): winnimanod und winni bedeutet Weide. Also war der Mai ursprünglich der Weidemonat, und das ist er ja auch heute noch, denn oft treiben die Bauern ihr Vieh im Monat Mai auf höher gelegene Alpweiden. Mit dem Verschwinden der ursprünglich bäuerlichen Sprache und den bäuerlichen Tätigkeiten, wie etwa dem Alpauftrieb, hat das Volk auch die Monatsbezeichnungen umgedeutet. Bereits zu althochdeutscher Zeit wurde winni zu wunni umgedeutet, und wunni heisst Wonne in neuhochdeutscher Sprache. Der Umdeutung zugrunde lag wohl das Bedürfnis, den Monat Mai als Freudenmonat zu begrüssen. Zu Freude und Wonne bietet der aufkeimende Frühling allemal Anlass, auch wenn kalendarisch der Frühling ja bereits im April beginnt.

„Wonne“ ist ein Synonym, aber auch eine Steigerungsform von „Freude“. Das Volk feierte besonders in früherer Zeit die Ankunft des Frühlings mit zahlreichen Volksbräuchen. Bereits in der Nacht auf den 1. Mai bot die Walpurgisnacht, die Nacht der Hexen, eine erste Gelegenheit für ausschweifende Feste. Mit Frühlingsbräuchen wie dem Maisingen, dem Aufrichten des Maibaums und mit Mairitten zu Pferd feierte die ländliche Bevölkerung den Maien. Befeuert wurde die Gefühlswelt der Menschen durch das Aufblühen der Bäume und der bunten Blumenwiesen sowie durch die sonnendurchfluteten und wärmeren Tage.

Für die Dichter war der Mai geradezu ein Steilpass für ihre Natur- und Liebeslyrik. Vielen von ihnen war jedoch die ursprüngliche Bedeutung des Monats Mai als „Weidemonat“ noch geläufig. Sie vermieden deshalb als Gelehrte und Gebildete in ihren Gedichten tunlichst die etymologisch falsche Bezeichnung „Wonnemonat“. So schwärmte der Dichter Heinrich Heine einzig vom „wunderschönen Monat Mai“.

„Im wunderschönen Monat Mai, / Als alle Knospen sprangen, / Da ist in meinem Herzen / Die Liebe aufgegangen. // Im wunderschönen Monat Mai, / Als alle Vögel sangen, / Da hab ich ihr gestanden / Mein Sehnen und Verlangen.“

Heinrich Heine (1797-1856)

Heinrich Heine war zwar verliebt in die deutschen Auen und Fluren während des Frühlings, trotzdem zog er in die Grossstadt Paris und läutete hier seine zweite Lebens- und Schaffensphase ein. Heine kommt das Verdienst zu, die deutsche Alltagssprache lyrikfähig gemacht zu haben. Er gilt als letzter Vertreter und zugleich als Überwinder der Romantik. Die Übersiedelung nach Paris unternahm er nicht ganz freiwillig. Wegen seiner jüdischen Herkunft und aufgrund seiner politischen Ansichten zensierten die Deutschen vor allem die journalistischen Schriften des Publizisten Heine. Als Doktor der Rechte erkannte er frühzeitig die Gefahren des aufkommenden Militär- und Polizeistaats in Preussen und flüchtete nach Paris. In Paris war der Montmartre während 25 Jahren sein Lebensmittelpunkt.

Für Heinrich Heine war der Montmartre in Paris während 25 Jahren ein Lebensmittelpunkt. (Foto: Kurt Schnidrig)

Eduard Mörike schwärmte als Romantiker zwar auch nicht von einem „Wonnemonat“, aber zumindest von der „Maienwonne“. Mörike galt für die damalige Zeit als „gespaltener Charakter“, der sich vor allem bei der Ausübung seines erlernten Berufs als evangelischer Pastor schwer tat. Bereits seine kirchliche Aufnahmeprüfung hatte ihm arg zu schaffen gemacht. Das würtembergische Konsortium bescheinigte ihm 1826 ein „ziemlich mangelhaftes, dennoch keineswegs zu verachtendes Wissen“. Er durchlebte – oder durchlitt – eine achtjährige „Vikariatsknechtschaft“ als Vikar, die er gesundheitshalber immer wieder durch Urlaub unterbrechen musste. Schuld an seiner schwächelnden Gesundheit trugen seine generellen Zweifel an einer kirchlichen Laufbahn. Nur zu gern hätte Mörike sich der Schriftstellerei zugewandt. Die Literaturgeschichte hat er mit seinen Frühlings-, und insbesondere mit seinen Mai-Gedichten bereichert. So etwa mit dem Gedicht „Der Zitronenfalter“, in dem er von der „Maienwonne“ schwadroniert:

„Grausame Frühlingssonne, / Du weckst mich vor der Zeit, / Dem nur in Maienwonne / Die zarte Kost gedeiht! / Ist nicht ein liebes Mädchen hier, / Das auf der Rosenlippe mir / Ein Tröpfchen Honig beut, / So muss ich jämmerlich vergehn / Und wird der Mai mich nimmer sehn / In meinem gelben Kleid.

Eduard Mörike (1804-1875): „Der Zitronenfalter“.

Als freier Dichter und Schriftsteller hätte sich Mörike nur allzu gern den Lebensunterhalt verdient. Doch dazu fehlte ihm der Mut. Es scheint, als hätten die Literaten der damaligen Zeit dem Pastor Mörike nicht allzu hochstehende literarische Kost zugetraut. Nur gerade der Verleger Friedrich Gottlob Franckh liess sich herbei, Mörike für ein Honorar von 600 Gulden pro Jahr für erzählende Aufsätze in dessen „Damen-Zeitung“ zu verpflichten. Mörike löste das Engagament noch vor Ablauf eines Jahres wieder auf.

Eduard Mörike träumte von einer Anstellung bei einer Bibliothek. (Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Heute gilt Eduard Mörike als der Dichter des Frühlings und des Monats Mai schlechthin. Was Mörike zu Lebzeiten vergönnt war, die Anerkennung als Literat von Format nämlich, wurde ihm posthum zuteil. Insbesondere sein Frühlingsgedicht „Er ist’s“ gilt heute als Naturlyrik ersten Ranges.

„Frühling lässt sein blaues Band / Wieder flattern durch die Lüfte; / Süsse, wohlbekannte Düfte / Streifen ahnungsvoll das Land. / Veilchen träumen schon, / Wollen balde kommen. / – Horch, von fern ein leiser Harfenton! / Frühling, ja du bist’s! / Dich hab‘ ich vernommen!“

Eduard Mörike, Erstdruck 1828

Wer so wundervolle Gedichte schreibt, dem sei zugestanden, dass er wohl seine wahre Berufung verfehlt hat. Eduard Mörike nahm an seinem Leben als Geistlicher gar gesundheitlichen Schaden. Er beklagte sich: „Das geistliche Leben ist’s. Ich bin überzeugt, es taugt nicht für mich … der Doktor (hat mir) einen Urlaub erwirkt. Meine Gesundheit kann dies sehr wohl brauchen. Hauptsächlich will ich die Zeit dazu benutzen, vielleicht eine Anstellung bei einer Bibliothek zu finden.“ (Eduard Mörike in einem Brief vom 09.12.1827).

Text und Fotos: Kurt Schnidrig