„Ciao Commissario!“ – Bei Donna Leon tönt es nach Abschied

Verabschieden sich nun Donna Leon und ihr Commissario Brunetti von Venedig und von ihren Leser*innen? (Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Ist der 30. Fall für Commissario Brunetti auch sein letzter Fall? Verabschiedet sich Donna Leon von ihrer Leserschaft? Zum 30-Jahre-Jubiläum erscheint der vielleicht letzte Band in dieser Reihe. Er trägt den Titel „Flüchtiges Begehren“. Einiges spricht dafür, dass Donna Leon mit dem Jubiläums-Krimi einen Schlussstrich zieht. Als eine der weltbesten und erfolgreichsten Krimi-Schriftstellerinnen lässt sie nun in ihrem 30. Venedig-Krimi den Commissario Brunetti müde Abschied nehmen. Und auch seine Schöpferin, Donna Leon, ist müde und in die Jahre gekommen. Die US-Amerikanerin hat als Globetrotterin die halbe Welt bereist und vielfach Erfahrungen gesammelt. Sie verdingte sich als Werbetexterin in London, sie arbeitete als Lehrerin im Iran, in China, in Saudi-Arabien und in der Schweiz. Als Reiseleiterin in Rom aber hatte sie sich in jungen Jahren in jenes Land verliebt, das Schauplatz werden sollte für eine der erfolgreichsten Krimi-Serien der Gegenwart. Immer wieder zog es Donna Leon nach Venedig. Die Lagunen-Stadt wurde zum Schauplatz aller ihrer 30 Bände rund um Commissario Brunetti.

Der Traum von Venedig ist ausgeträumt. Was sich nun aber in den vergangenen Jahren in ihrer Stadt der Herzens ereignet hat, macht Donna Leon wütend. Die Zerstörung von Venedig durch den Massentourismus lässt ihr Herz bluten. Die Kreuzfahrtschiffe legen beinah mitten auf der Piazza San Marco an und entlassen gierige Touristen-Ströme in die ehemals malerischen Gassen und in die romantischen Lagunen. Sie berauben die Stadt Venedig ihres Charmes und ihrer unvergleichlichen Italianità. Korrupte Politiker*innen und ökologischer Raubbau kommen hinzu. Was immer in Venedig noch in Geld verwandelt werden kann, das hat die Mafia an sich gerissen. Aus all diesen Gründen hat sich Donna Leon bereits seit Jahren standhaft geweigert, überhaupt noch selber nach Venedig zu fahren.

Die romantische Lagunenstadt Venedig ist heute den Touristenströmen zum Opfer gefallen. (Foto: Kurt Schnidrig)

Flucht in den Ruhestand. Sowohl ihr Commissario Brunetti als auch Autorin Donna Leon selber spielen schon seit langer Zeit mit dem Gedanken, Venedig zu verlassen und sich in den beschaulichen Ruhestand zu flüchten. Donna Leon macht aus ihrer Enttäuschung über die Entwicklung in der ehemaligen Stadt ihrer Träume keinen Hehl. Sie hat ihren Wohnsitz bereits in den Kanton Graubünden verlegt. Und auch Commissario Brunetti, ihre heiss geliebte Roman-Figur, streicht nun anlässlich des 30. Fall die Segel, oder besser das Ruder an seiner Gondola. Am Schluss des Jubiläum-Krimis mit dem Titel „Flüchtiges Begehren“ nimmt nun auch der berühmte Commissario seinen Hut und sagt „Ciao“. Traurig und voller Melancholie muss er sich eingestehen, dass der ewige Kampf gegen das Böse in dieser Welt ein aussichtsloser Kampf ist. Und der Commissario zieht die Konsequenzen. Er nimmt für immer Abschied. Abschied von Venedig, Abschied aber auch von den unzähligen Leser*innen auf der ganzen Welt.

„Flüchtiges Begehren“ – Commissario Brunettis dreissigster Fall – verströmt jene Müdigkeit und jene Melancholie, die sowohl die Autorin als auch ihren Commissario gelähmt und frustriert haben. Das beginnt auch schon mit der herbstlichen Witterung in Venedig. Der Nebel hüllt die Stadt in Schweigen und lässt die Serenissima in Traurigkeit versinken. Das Hochwasser, das Acqua alta, flutet die schmucken Gassen und Plätze. Zwei junge Burschen flirten mit zwei Touristinnen, denen die Stadt kaum mehr irgendeinen Anreiz bietet. Die zwei Burschen laden die beiden Touristinnen zu einer Bootsfahrt durch die Lagunen ein. Eine „Spritztour“ hätte es werden sollen. Doch die findet nur allzu schnell ein abruptes Ende. Mit ihrem Boot rammen sie einen Pfahl. Die beiden Jungs und ihre Begleiterinnen verletzen sich schwer. Die zwei jungen Frauen bleiben gar bewusstlos und allein gelassen zurück. Die beiden jungen Männer flüchten. Commissario Brunetti rafft sich noch einmal auf, vielleicht ein letztes Mal versucht er einen mysteriösen Unfall zu klären. Bald schon wird ihm klar: Da steckt mehr dahinter, die beiden jungen Männer verhalten sich äusserst merkwürdig, sie ergreifen voller Angst die Flucht. Was die Beiden wohl zu verbergen haben? Nur so viel sei verraten: Ein tödliches Finale steht bevor.

Donna Leons erfolgreiche Krimi-Rezeptur beschert auch im 30. Band allen Leser*innen spannendes Lesefutter. Da ist einmal das gewohnte Setting, das immer gleiche Szenario: Commissario Brunetti bewegt sich selbstsicher durch die Lagunenstadt Venedig. Ein Familienmensch, der sich bevorzugt bei der Lektüre von alten Klassikern entspannt. Und auch der Jubiläums-Krimi lebt von der verführerischen Melange aus venezianischem Flair, sanfter Ironie und dem immer gleichen Personal. Noch einmal begegnen wir der geschiedenen Ehefrau Paola, der engagierten Tochter Chiara, dem rebellischen Sohn Raffi und den beharrlichen Mitarbeiter*innen, allen voran Vianello und Elettra.

„Ciao, Commissario!“ Die bestens ausgetüftelte Rezeptur hat den Donna-Leon-Krimis den Erfolg garantiert. Bis jetzt. Bis zum 30. Fall. Jetzt jedoch tönt’s nach Abschiednehmen. Wahre Donna-Leon-Leser*innen verdrücken eine Träne und haben ein trauriges „Ciao, Commissario!“ auf ihren Lippen. Wohl wissend, dass „Ciao!“ sowohl italienischer Abschieds- als auch Willkommensgruss sein kann. Die Frage, ob es sich der Literaturbetrieb leisten kann, eine Romanfigur wie den Commissario Brunetti sterben zu lassen, stellt sich.

Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig