„Der wahre Abenteurer unserer Zeit ist ein Traumreisender“

Träume dienen dazu, dem eigenen kleinen Leben mehr Bedeutung zu verschaffen. Lukas Maisel verblüffte in Leukerbad mit seinem „Buch der geträumten Inseln“. (Foto: Kurt Schnidrig)

Lukas Maisel ist 1987 in Zürich geboren und machte eine Lehre als Drucker, bevor er am Literaturinstitut in Biel studierte. Mit dem „Buch der geträumten Inseln“ legt er seinen ersten Roman vor. Es ist dies ein Roman, der Mut macht, die eigenen Träume zu leben. Die Schweiz ist ein Land, in dem Bescheidenheit oftmals gross geschrieben wird, insbesondere wenn es um die Wissenschaft geht. Sport-Stars und Fussballer werden bei uns in den Himmel gehoben. Aber was ist mit den vielen Wissenschaftler*innen, die von einer besseren Welt träumen? Was ist mit den Schweizer Forschenden, die mit phantastischen Ideen die Welt verändern könnten? Robert Akeret möchte seinem kleinen und bescheidenen Leben mehr Bedeutung verschaffen. Robert Akeret möchte einen ganz neuen Wissenschafts-Zweig begründen. Robert Akeret möchte, dass sein Name ein Denkmal für die Wissenschaft wird. Robert Akeret ist der Protagonist im „Buch der geträumten Inseln“.

„Stürze dich ins Unbekannte!“ Die Begegnung mit dem Autor Lukas Maisel und seinem Roman in Leukerbad offenbarte die mutige Botschaft: Leute, bewegt euch, verlasst eure Komfortzone, erobert diese Welt, es gibt noch viel zu entdecken! Stürze dich ins Unbekannte, egal, ob dein Sprung ins kalte Wasser von Erfolg gekrönt sein wird! Irgendwann jedoch wird er kommen, der Augenblick des grossen Triumphes. Robert Akeret, der Protagonist in Maisels Roman, war bereits als Kind einer, der sich nicht mit einfachen Antworten abspeisen liess. Obschon er kein Studierter ist, taucht er als Erwachsener ein in die Wissenschaft der Zoologie. Mit haarsträubenden Häresien und Phantastereien sorgt er bei den arrivierten „Lehnstuhlzoologen“ lediglich für ein müdes Kopfschütteln. Sich selber bezeichnet Akeret als ein „Kryptozoologe“ und er verschreibt sich der Lehre von den versteckten Tieren. Es ist dies ein Wissenschafts-Zweig, der noch an keiner Universität vertreten ist. Akeret liebt das Weitausholende, das Ausufernde, das Undenkbare. Und er liebt das applaudierende Publikum, denn „ein Leben ohne Zuschauer“ ist für ihn kein gelebtes Leben.

„Sie träumte von einer Insel, in der jeder Platz bewohnt ist, so dass kein Platz mehr für die Toten ist.“

Lukas Maisel las am Literaturfestival Leukerbad aus dem „Buch der geträumten Inseln“

Die Suche nach einem geheimnisvollen Lebewesen, das Bindeglied zwischen Mensch und Tier sein soll, beflügelt das Leben von Robert Akeret. Die Suche nach dem Tier-Mensch-Bindeglied entbehrt keineswegs aller Logik und Wahrscheinlichkeit. Immerhin existieren für derartige Lebewesen die verschiedensten Namen und Bezeichnungen. Das Lebewesen, das ein Bindeglied zwischen Mensch und Tier sein soll, nennt man in Vietnam „Nguoi Rung“, in China „Deren“, im Altaigebirge „Alma“, auf Borneo „Batutut“ und auf Sumatra „Pendek“. Ob das Lebewesen, halb Tier und halb Mensch, nun tatsächlich existiert, ist unerheblich und tut eigentlich nichts zur Sache, denn die Botschaft von Lukas Maisels Buch ist beim Leser längst angekommen: Lebe deine Träume! Gib niemals auf! Glaube an die Wunder dieser Welt! Denke das Undenkbare! Doch mit dem Vermitteln einer abstrakten Traum-Botschaft gibt sich der Autor nicht zufrieden.

„Mein Buch der geträumten Inseln ist mehr als ein Abenteuerroman. Das Buch vermittelt realistische Träume.“

Lukas Maisel am Literaturfestival in Leukerbad.

Am Ende aller Träume steht die Wirklichkeit. Zusammen mit seinen Gefährten bricht Robert Akeret auf, um seinen Traum zu leben. Das Lebewesen, halb Mensch und halb Tier, muss gefunden werden. Der Lebens-Traum von einem Wissenschafts-Wunder darf nicht sterben. Auf der Suche nach dem Bindeglied zwischen Mensch und Tier gilt es eine Natur zu durchstreifen, die immer archaischer und wilder wird, es gilt Flüsse zu durchqueren, die immer schmaler und gefährlicher werden, und es gilt auch den Eingeborenen gegenüberzutreten, die immer feindlicher werden. Doch dann die Endstation aller Sehnsüchte und aller Träume: Die Eingeborenen bringen dem Forschungsreisenden tatsächlich ein Lebewesen, weder Mensch noch Tier. Das Mensch-Tier oder der Tier-Mensch hat eindeutig einen menschlichen Kopf mit haarigem Rumpf und den Laib eines Fisches. Doch ist das Zwitter-Lebewesen zusammengenäht mit grobem Garn. Handelt es sich nur um einen Versuch, die Eindringlinge zu beschwichtigen? Oder stellt die Puppe eine Warnung an die Menschheit dar?

Literaturkritisch liesse sich formulieren, dass der Roman auch ein Lehrstück für Nicht-Wissenschaftler, für Laien, sei. Ohne Studium und ohne wissenschaftliche Vorbelastung lässt sich trefflich träumen von anderen Welten. Zwar anerkennt der Laien-Zoologe Robert Akeret die wissenschaftliche Methodik und die durch sie gewonnenen Erkenntnisse. Er lebt aber im Glauben, dass die Wissenschaft etwas übersehen habe. Und dieser Glaube ist eine Einladung an den unbefangenen Laien, der eher die Lücke im Gefüge der Wissenschaft entdecken kann.

„Man sieht nur, was man weiss.“

Johann Wolfgang von Goethe

Eine Selbstschau des Autors. Das berühmte Goethe-Zitat „Man sieht nur, was man weiss.“, beschreibt die Tatsache, dass uns nur Dinge auffallen können, über die wir Hintergrund-Wissen besitzen. Wem das Hintergrund-Wissen fehlt, den locken Träume, Visionen und quere Vorstellungen. Sie verführen ihn zu einer verbissenen Suche nach etwas, was nicht sein kann und nicht sein darf. All die aktuellen Verschwörungstheorien liefern Beispiele ohne Zahl für diesen Befund. Wie Akeret im „Buch der geträumten Inseln“, zweifeln auch Verschwörungstheoretiker die Wissenschaft und die Politik an, sie attackieren den herrschenden Mainstream. Viele Autor*innen befassen sich beim Schreiben in irgendwelcher Art und Weise auch mit sich selber. Autor Lukas Maisel ist weit gereist, bis auf die indonesischen Inseln Sumatra, Sulawesi und Ternate, um dem Personal in seinem Roman ein passendes Profil zu verleihen. Ob sich Lukas Maisel als Traumreisender wohl selbst auf die Suche gemacht hatte nach dem Bindeglied zwischen Mensch und Tier? Am Literaturfestival in Leukerbad resümierte Lukas Maisel: „Der wahre Abenteurer unserer Zeit ist ein Traumreisender“.

Text und Foto: Kurt Schnidrig