„La Catherine“ – eine Bauerntochter aus dem Goms

Eine Bauerntochter aus dem Goms sucht ihr Glück in der Grossstadt – davon erzählt der Roman „La Catherine“. (Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Im Leben geraten wir immer wieder mal in Situationen, die alles Bisherige auf den Kopf stellen. Manchmal tut ein Neuanfang not, und es gilt, die alte Heimat zu verlassen und an einem fremden Ort neuen Halt zu suchen. So ist es auch der jungen Frau aus einem kleinen Dörfchen im Goms ergangen. Die Zürcher Psychotherapeutin Franziska Loepfe erzählt in ihrem Roman „La Catherine“ von Catherine, die in den 1970er-Jahren in einem kleinen Ort zuoberst im Goms aufgewachsen ist. Überdrüssig eines Lebens als folgsame und arbeitsame Bauerntochter, beschliesst sie, im Welschland ein Haushaltsjahr zu absolvieren. In der Grossstadt Genf versucht sie neuen Halt zu finden. Doch da lockt nicht bloss das Grossstadt-Leben mit all seinen Verlockungen. Die 1970er-Jahre sind geprägt von den rebellischen Jugendlichen der 68er-Bewegung.

Der Wegzug aus dem Heimatdörfchen im Goms in die Grossstadt Genf hatte tiefgreifende Auswirkungen. Da war nicht nur die fremde Sprache, die der jungen Frau zu schaffen machte. Die Bauerntochter aus dem Goms kam in der Weltstadt Genf noch einmal „so richtig auf die Welt“. Besonders damals, in den 1970er-Jahren, mobilisierten die rebellischen Jugendlichen in Städten wie Genf. Die aufmüpfigen jungen Menschen in bunten Kleidern und mit langen Haaren waren offen für Vieles. Werte und Normen, wie sie im erzkonservativen Heimatdorf zuoberst im Goms gang und gäbe waren, wurden vom jugendlichen Freundeskreis rund um Catherine regelrecht pervertiert. Angesagt waren die Freie Liebe statt brav heiraten, neue und alternative Lebensentwürfe ausprobieren, nur ja nicht werden, was die Eltern waren.

Vor allem das soziale Leben war es, das sich in der anonymen Grossstadt komplett verändert hatte. Inmitten eines Überangebots von alternativen Lebensformen musste sich Catherine zuerst einmal ihren eigenen Weg suchen. In der Grossstadt gelang ihr auf ihre Art eine „Tellerwäscher-Karriere“. Hatte sie zuerst in einem Büro als Hilfskraft bloss Blätter kopiert und Kaffee gekocht, brachte eine neue Liebe auch ein neues Leben mit sich. Catherine verliebte sich. Ihr Freund verhalf ihr zu einer Lehre in einem Architekturbüro. In Catherines Heimatdorf oben im Goms verfolgte die Dorfgemeinschaft Catherines neues Leben in Genf mit Skepsis und mit Ablehnung. In ihrer alten Heimat galt Catherine als „Verräterin“ an allem, am bäuerlichen Leben vor allem, aber auch an all dem, was ihre Eltern aufgebaut hatten. Doch auch in der neuen Heimat, in der Stadt Genf, blieb Catherine eine Fremde. Der Spagat zwischen der alten und der neuen Heimat gelang nur teilweise, so dass die junge Frau den Boden unter den Füssen verlor.

„Meine Mutter will mir nicht Adieu sagen. Sie lässt mich ohne Segen ziehen. Sie will nicht einmal heimlich sehen, wie ich wegfahre. Vater hat irgendwann nachgegeben, den Vertrag für das Haushaltsjahr in Genf unterschrieben. Nun beim Abschied steckt er mir eine Zwanzigernote zu, viel Geld, für mich und für ihn, sagt, ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen „a Dieu“. Mir ist nicht nach Versöhnung. Ich habe eine andere Prophezeiung im Ohr: Du wirst wie alle anderen rauschgiftsüchtig und schwanger aus Genf zurückkommen. Das ist ein Fluch. (…) Im Dorf sind sie der Meinung, ich ginge in die Stadt, weil mir ihre Gesellschaft zu wenig sei. Stimmt. Ich wolle halt keinen Hiesigen heiraten, habe sowieso nur Kino und Tanzen im Sinn. Stimmt. Aber bin ich eine Schlampe, wenn ich eigenes Geld verdienen will, etwas lernen, vorwärtskommen, Spass haben?“

(Aus: „La Catherine“ von Franziska Loepfe)

Die Autorin Franziska Loepfe ist Psychotherapeutin und war bis anhin eher eine Sachbuchautorin. Als Psychotherapeutin versteht sie sich ganz grossartig darauf, den Weg der jungen Frau Catherine aus dem Gommer Bauerndorf bis in die Grossstadt Genf nachzuzeichnen. Sie erzählt Catherines Geschichte tagebuchartig. Der Versuch, die Geschichte der Catherine in der rebellischen Zeit der 1970er-Jahre anzusiedeln, darf ebenfalls als gelungen bezeichnet werden. In einer Zeit, als das Frauenstimm- und Wahlrecht nach langem Kampf gerade erst eingeführt worden war, in einer Zeit auch, in der die Arbeitsverträge von Frauen immer noch von ihren Ehemännern oder Vätern hatten unterschrieben werden müssen, verfolgen wir berührt und fasziniert Catherines Lebensweg. Nicht jede gute Sachbuchautorin ist aber immer auch eine Roman-Schriftstellerin. So vermisse ich als Leser ein klein wenig die Spannung und die Raffinesse in diesem als Roman angepriesenen Werk. Trotzdem aber ist „La Catherine“ eine aufschlussreiche und bestens recherchierte Lektüre, die man mit Gewinn liest.

Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig