Science Fiction am Walliser Himmel

Was spielt sich da am Walliser Himmel ab? Eine Invasion? Die Wissenschaft beruhigt, aber… (Bild: Kurt Schnidrig)

Science Fiction heisst zu deutsch „Zukunftserzählungen“. Es handelt sich dabei um Geschichten, die auf der Fantasie fussen, diese aber mit der möglichen Wirklichkeit technischer Erfindungen oder mit naturwissenschaftlichen Problemen im weitesten Sinn verknüpfen. Je nachdem, wes Geistes Kind man ist, schwenkt man bei mysteriösen Beobachtungen auf die Seite der Fantasten oder aber man nimmt die Position der Wissenschaft ein, die für (fast) alles mit einer plausiblen Erklärung aufwartet. Nun, was ich an den vergangenen Abenden und Nächten von meinem Arbeitszimmer hoch oben vom Brigerberg aus mit Blick auf das Walliser Tal beobachtet habe, böte Stoff für beide Positionen. Für Zukunftserzählungen wissenschaftlicher Art, aber auch für eine deftige Science-Fiction-Erzählung.

Als Wissenschaftler kann ich Ihnen, liebe Leser*innen, eine handfeste Erklärung dafür liefern, was sich da vergangene Woche – von vielen wohl unbemerkt – am Walliser Abend- und Nachthimmel abgespielt hat. Der Vulkan auf La Palma war während der vergangenen Tage und Nächte besonders aktiv. Nach dem Ausbruch bildete sich eine giftige Schwefelwolke, die Kurs auf die Schweiz genommen hat, und die das Wallis am vergangenen Mittwochabend erreicht hat. Die Wolke ist gefüllt mit Schwefelgasen, die beim Vulkanausbruch auf La Palma freigesetzt wurden. Die Meteorologen erklären: „Die Gase beeinflussen die Sonneneinstrahlung und dadurch sind die Farben bei Sonnenuntergang intensiver.“ So viel zum intensiv orange und rot gefärbten Walliser Nachthimmel. Ist damit das Rätsel gelöst? Ich bitte Sie, liebe Leserin, lieber Leser, mein obenstehendes Foto nochmals genau zu betrachten. Sie werden unschwer Streifen am geröteten Nachthimmel entdecken. Handelt es sich dabei um sogenannte „Chemtrails“?

Wissenschaftliche Wahrheit oder Science Fiction? Wer glaubt, es handle sich bei den Streifen am Walliser Nachthimmel lediglich um ganz normale Kondensstreifen, die auf kondensierte Abgase von Flugzeugen zurückgehen, der nimmt eine streng wissenschaftliche Position ein. Gemäss einer weltweiten Verschwörungstheorie soll es sich bei den Streifen am Himmel um Spuren von diversen chemischen Substanzen handeln, welche die Luftwaffe der USA absichtlich versprüht. Die US Air Force One wolle nämlich unser Wetter beeinflussen und die „Kondensstreifen“ militärisch nutzen. Im Klartext heisst dies: Die amerikanischen Streitkräfte haben es auf unsere Zeugungsfähigkeit abgesehen! Als Motiv der Sprühaktionen wird in der fiktiven Literatur eine gezielte Bevölkerungsreduktion angeführt. Über die Zusammensetzung der Sprühspuren wird auch unter Wissenschaftern heftig debattiert. Oft nennt die einschlägige Literatur vor allem Barium- und Aluminium-Verbindungen als Bestandteile.

Das Phänomen der „Chemtrails“ beschäftigt zurzeit zahlreiche Buchautoren. Während die wissenschaftliche Literatur abzuwiegeln versucht, bieten die Chemtrails für Schriftsteller und Science-Fiction-Autoren einen schier unerschöpflichen Fundus für Geschichten, Thesen und Spekulationen. Pseudowissenschaftler untermauern ihre Geschichten mit dem sogenannten „Welsbach-Patent“, das eine Bekämpfung des Treibhauseffekts durch das Ausbringen chemischer Substanzen in der Atmosphäre vorsieht. Nur eine Verschwörungs-Theorie? Das Verfahren wird mittlerweile von mehreren Klima-Aktivisten als praktikabler Weg beschrieben. Sprühen die Umwelt-Aktivisten tatsächlich vor den Augen der Weltöffentlichkeit die Atmosphäre voll? Oder verfolgen auch noch ganz anders geartete geheimnisvolle Organisationen am Himmel ihre mysteriösen Ziele?

Eine weltweite wissenschaftliche Diskussion und unzählige Bücher hinterfragen die Chemtrail-Theorie kritisch. Das Verteidigungsministerium der US Air Force teilte erst kürzlich mit, keine chemischen Substanzen absichtlich in der Atmosphäre zu versprühen. Skeptiker und Science-Fiction-Autoren halten derartigen Aussagen entgegen, dass angeblich geheim gehaltene Klappen oder Sprühsysteme sich an der Unterseite von Flugzeugen befänden. Seriöse Studien sagen jedoch aus, dass die meisten Kondensstreifen aus dem europäischen und amerikanischen Luftverkehr stammen. Sorge bereiten die Kondensstreifen aber auch der Wissenschaft. Ihr Effekt auf das Klima könnte nämlich grösser sein als jener, der bereits durch CO2-Emmissionen erzeugt wird. Die Streifen und die daraus entstehenden Zirruswolken beeinflussen gemäss neusten Studien den Wärmehaushalt der Erde. Diese Forschungsergebnisse sind nun alles andere als Science Fiction.

Science-Fiction-Erzählungen boomen. Seitdem der Franzose Jules Verne in seinen Romanen moderne technische Erfindungen vorwegnahm und seine Helden schon auf den Mond oder in die Tiefen der Weltmeere reisen liess, boomt das Genre der Science-Fiction-Erzählungen. Mit ähnlichen technischen Zukunftsvisionen, wie sie Jules Verne in die Welt setzte, warteten in England H.G. Wells und in Deutschland Kurt Lasswitz sowie Hans Dominik auf. Die US-Amerikaner waren es dann, die für solche Geschichten die Bezeichnung „Science Fiction“ (Wissenschaftsdichtung) geprägt hatten. Der Bogen der Science-Fiction-Storys reicht heute von anspruchsvollen Darstellungen, wie sie etwa der Pole Stanislaw Lem bietet, bis zu vordergründigen Abenteuerromanen. Spielfilme und insbesondere auch die Comics haben sich längst solcher Themen bemächtigt.

(K)Eine Science-Fiction-Story. Halten wir also beruhigt fest: Für die Schwefelwolke, die den Walliser Nachthimmel am 19.10.2021 blutrot färbte, ist der Vulkan Cumbre Viejaseit auf La Palma verantwortlich. Er ist seit dem 19. September auf der kanarischen Insel aktiv und speit seither einen unerschöpflichen Lavastrom aus. Selbstverständlich besteht für Mensch und Tier zu keiner Zeit eine Gefährdung (das ist grundsätzlich immer so). Abgesehen davon, dass die Konzentration an Schwefeldioxid sehr niedrig sein soll, kam ja zum Glück in der Nacht auf Donnerstag auch noch eine Kaltfront. Der Regen soll – gemäss Meteorologen – das Schwefelgas ausgewaschen haben, so dass es im Boden versickern konnte. Nicht einmal die Fenster müssen in diesen Tagen und Nächten geschlossen sein. Ob die Gase des Vulkanausbruchs nicht trotzdem die Gesundheit von Mensch und Tier auch in unseren Breitengraden gefährden können? Gebetsmühlenartig wird verkündet: Für Mensch und Tier bestand und besteht zu keiner Zeit eine Gefährdung. Nun, ich meinerseits halte die Fenster in den kommenden Nächten geschlossen. Ob das UFO, das ich erst viel später auf meiner Aufnahme entdeckt habe, nicht doch irgendetwas mit den blutroten Chemtrails zu tun hat?

Text und Fotos: Kurt Schnidrig