Preisträgerin Martina Clavadetscher im Exklusiv-Interview

Mit Martina Clavadetscher, soeben im Theater Basel mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet, traf ich mich zum Exklusiv-Interview (Foto: rro).

Martina Clavadetscher wurde heute Sonntag im Theater Basel mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet. Martina Clavadetscher, geboren 1979, ist Autorin und Dramatikerin. Nach ihrem Studium der Deutschen Literatur, Linguistik und Philosophie war sie Hausautorin am Luzerner Theater. Sie gilt mittlerweile auch in Deutschland als angesagte Autorin. In unserem Nachbarland gewann sie bereits den Essener Autorenpreis und sie war auch für den Heidelberger Stückemarkt nominiert. Clavadetscher schaffte es bereits im Jahr 2017 erstmals auf die Shortlist des Schweizer Buchpreises, damals mit ihren Debütroman „Knochenlieder“. Nun lebt sie wieder in der Schweiz, und es war an der Zeit, dass sie nun mit ihrem Erzählwerk, das inhaltlich, sprachlich und formell höchsten Ansprüchen genügt, mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet wurde.

„Die Erfindung des Ungehorsams“ – so heisst ihr preisgekröntes Werk. Im Zentrum stehen drei Frauen, die mit Hilfe von künstlicher Intelligenz ganz neue Lebensentwürfe versuchen möchten. Iris tigert in Manhatten durch ihr Penthouse und wartet voller Ungeduld auf die nächste Dinnerparty. Ihre Kollegin Ling ist in einer Sexpuppenfabrik im Südosten Chinas angestellt, wo sie künstliche Frauenkörper auf Herstellungsfehler kontrolliert. Und dann ist da noch Ada Lovelace, sie lebt im alten Europa, ist Pionierin auf dem Gebiet der Programmiersprachen und träumt von neuartigen Maschinen. Was alle drei Frauen miteinander verbindet: Alle sind sie auf der Suche nach dem Kern der Dinge, auf der Suche nach der ultimativen Wahrheit. Die Jury des Schweizer Buchpreises war angetan vor allem von der thematischen Aktualität und von der sprachlichen Kraft.

Jurymitglied Daniel Graf hielt die Laudatio auf die Preisträgerin Martina Clavadetscher. (Foto: Kurt Schnidrig)

In seiner Laudatio hob Daniel Graf, Kulturredakteur und Jurymitglied, vor allem die kunstvolle Verschachtelung der Story hervor. Über Zeiten und Kontinente hinweg werde Clavadetschers Roman seine Gültigkeit beibehalten. Das Herausragendste am Roman „Die Erfindung des Ungehorsams“ aber sei seine Sprache und seine äusserst originelle Form. Der „Ungehorsam“, der im Buchtitel stehe, dürfe auch interpretiert werden als ein Ungehorsam gegenüber dem Literarisch-Konventionellen.

Das Exklusiv-Interview mit Martina Clavadetscher durfte ich als rro-Literaturexperte führen. Mir gegenüber relativierte die Preisträgerin die Bedeutung des Ungehorsams in ihrem Werk. „Es ist dies ein Ungehorsam gegen die Gesellschaft und gegen ihre strengen Strukturen, die den Individuen eher schaden“, sagte sie zu mir. Aber was ihr wichtig sei: „Nur in diesen Fällen ist Ungehorsam angebracht, sonst grundsätzlich nicht.“ Clavadetschers Buch ist auch ein Buch über unsere nahe Zukunft. Wie sieht sie denn aus, diese unsere Zukunft? Eher menschlich oder doch vor allem maschinell und computergesteuert? Auf diese meine Frage antwortete Martina Clavadetscher abwägend. Die Zukunft werde beides beinhalten, das Menschliche und das Maschinelle. „Die Zukunft wird uns eine Mischform von Mensch und Maschine bringen“, meinte die Preisträgerin. Doch auch tröstliche Worte fand sie: „Unser Planet wird menschlich bleiben, auch wenn die Maschinen immer schon eine wichtige Rolle gespielt haben.“ Das Thema „Mensch und Maschine“ ist ein Standardthema in der Literatur. Welche neuen Facetten sie denn zu diesem Standardthema in ihrem Buch verarbeite, wollte ich von Clavadetscher wissen. „Ich habe das Thema in eine Zeit versetzt, die uns näher ist, erklärte mir die Autorin und ergänzte: „Die Maschinen, die Puppen, der Schöpfungsakt, das alles war immer schon da. Nun aber frage ich mit meinem Buch: Was bedeutet das alles jetzt? Was bedeutet es für uns?“ Und mit einem Lächeln gesteht sie ein: „Das Rad habe ich mit meinem Buch nicht neu erfunden, aber ich habe das Motiv in die heutige Zeit transportiert.“

Ein Höhepunkt in der steilen Karriere von Martina Clavadetscher: Die Bekanntgabe als Gewinnerin des Schweizer Buchpreises. Im Bild die Preisträgerin, umrahmt von Eva Herzog, Präsidentin von Literatur Basel, und von Thomas Kramer, Präsident Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband. (Foto: Kurt Schnidrig)

Eine grandiose Feier der Literatur war die Verleihung des Schweizer Buchpreises im Theater Basel. Ausgezeichnet wurde das beste erzählerische Werk des Jahres. Thomas Kramer durfte als Präsident des Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verbands mit Befriedigung feststellen, dass der Stellenwert von Literatur zwischen Buchdeckeln gewachsen ist. 92 Bücher von 65 Verlagen waren eingereicht worden. Eine bestens ausgewiesene Jury mit Jurypräsident Daniel Graf musste abwägen, auswählen und sich schliesslich entscheiden. „Jede Literaturkritik ist der Kritik ausgesetzt, und das muss sie auch sein“, hielt Thomas Kramer fest.

Hören Sie einen Ausschnitt aus dem Exklusiv-Interview, das ich mit Martina Clavadetscher geführt habe. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig / Stefanie Sterren)

Text, Fotos, Interview und Berichterstattung aus dem Theater Basel: Kurt Schnidrig