„Trotz allem“: Ein gutes Stück Schweizer Zeitgeschichte

Die Historikerin, Autorin und Verlegerin Denise Schmid. (Foto: Kurt Schnidrig)

Wie gelingt es, aus Zwängen auszubrechen und Neues zu versuchen? Unter den Biographien des vergangenen Jahres 2021 kommt der Biographie „Trotz allem“ von Denise Schmid über die Clownin Gardi Hutter, erschienen im Verlag „Hier und Jetzt“, ein ganz besonderer Stellenwert zu. Denise Schmid hat auf 400 Seiten nicht nur eine Lebensbeschreibung verfasst, sondern auch ein gutes Stück Schweizer Zeit- und Sozialgeschichte. Die porträtierte Clownin Gardi Hutter ist eine historische Persönlichkeit. Ihr Ausbruch aus konservativem und beengendem Elternhaus steht exemplarisch für den Ausbruch all jener Frauen, die Ende der 1960er-Jahre eine neue Rolle in der Gesellschaft gesucht und gefunden haben.

„Als Historikerin bette ich die Lebensgeschichte ein in grössere zeitgeschichtliche Zusammenhänge.“

Denise Schmid im Gespräch mit Kurt Schnidrig

Geprägt von einem erzkonservativen Katholizismus hat sich im Zuge der revolutionären 1968er-Bewegung bei vielen Frauen ein Trotz entwickelt gegen das aufgezwungene Rollenverhalten, wie es noch bis vor 50 Jahren zum damaligen Frauenbild gehörte. Der rebellische Aufbruch am Ende der 1960er-Jahre hat Gardi Hutter zu einer Vorläuferin der Frauen-Befreiungs-Bewegung werden lassen. So gesehen, ist die Biographie „Trotz allem“ der Autorin und Verlegerin Denise Schmid auch eine Beschreibung der nationalen Befreiungs- und Emanzipationsgeschichte unseres Landes.

„Gardi Hutter ist einer der wenigen schweizerischen Weltstars“.

Denise Schmid im Gespräch mit Kurt Schnidrig

Die Begegnung mit der Clownin Gardi Hutter hat mich tief beeindruckt. Wie sie sich ein Leben lang gegen Anpassung, gegen Zugehörigkeit, gegen Manieren, gegen Haltung und gegen Modeerscheinungen aufgelehnt hat, und wie sie auch offen darüber spricht, hat mich nachdenklich gestimmt. Immer hat sie ihren eigenen Weg gesucht und auch gefunden. Das war nicht immer einfach. Besonders in der Lebensmitte blieb auch sie nicht verschont von Lebens-Krisen. Aber auch über diese schwierigen Jahre spricht Gardi Hutter in der Biographie „Trotz allem“ unverblümt.

„Wenn man in den 1950er-Jahren auf die Welt gekommen ist, hatte man keine andere Wahl als auszubrechen, wenn man ein selbst bestimmtes und farbiges Leben hatte führen wollen.“

Gardi Hutter im Gespräch mit Kurt Schnidrig

Nach der Pensionierung eine ruhige Kugel schieben? Denkste! Das Tessiner Dörfchen Arzo ist Gardi Hutters Rückzugsort, ihre Denkfabrik und ihre Werkstatt. Und sie möchte noch weiter arbeiten. Als älterer Clown habe man eine Meisterschaft erreicht, die man als junger Clown noch nicht gehabt habe, gibt sie zu bedenken. Und so plant Gardi Hutter weiterhin auch noch Auftritte ausserhalb von Europa.

Nach der Pensionierung eine ruhige Kugel schieben? Denkste! Auftritte ausserhalb von Europa stehen auf dem Programm. (Foto: Kurt Schnidrig)

Auch „Hanna“ ist ein Trotzkopf. Ihre Bühnenfigur heisst Hanna. Auch sie ist eine Rebellin, eine Revolutionärin, ein Trotzkopf. Die Clownfigur Hanna hat auf der Bühne jahrzehntelang weibliche Schönheitsideale und Verhaltensnormen geprägt: Hanna mit dem Flickenkleid, mit der Wuschelperücke und mit dickem Bauch. immer aber haben beide, sowohl Gardi Hutter als auch ihre Bühnenfigur Hanna, auch ernste Themen angeschnitten. Der Sinn des Lachens bestehe darin, dass man sich mit Lachen zwar entspannen und wohlfühlen könne, sagt sie. Mit Lachen könne man die Schwierigkeiten des Lebens zwar nicht aus dem Weg räumen, aber mit einem Lachen im Gesicht sei es zumindest möglich, mit den Schwierigkeiten und Problemen des Lebens besser umzugehen.

Hören Sie den Podcast aus der Sendung Literaturwelle zur Biographie „Trotz allem“. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig / Simon Kalbermatten)
Hören Sie das Interview in voller Länge, das ich mit der Biographin, Historikerin, Verlegerin und Autorin Denise Schmid geführt habe. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig)
Hören Sie das Interview in voller Länge, das ich mit dem Weltstar Gardi Hutter geführt habe. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig)

Text, Fotos und Radiosendungen: Kurt Schnidrig