Eine Fachfrau für Beziehungsprobleme: Veronika Sutter

Allein und einsam durch die Corona-Zeit: Viele Beziehungen frieren ein. (Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Ab kommendem Montag sind viele wieder zu Hause, Homeoffice-Pflicht ist verordnet. Wenn es im Beziehungsgebälk knackt, dann ist die fehlende Distanz eine zusätzliche Herausforderung. Dazu kommt die Weihnachtszeit, die vielerorts das Zusammenleben auf engem Raum seit jeher belastet. Veronika Sutter kann davon Geschichten erzählen. 15 davon hat sie in einem Buch versammelt, das den Titel trägt „Grösser als du“. Die Lektüre geht unter die Haut. Veronika Sutter engagiert sich seit vielen Jahren gegen Gewalt an Frauen, unter anderem bei Amnesty International Schweiz und im Vorstand der Stiftung Frauenhaus Zürich. Doch Veronika Sutter hat auch literarisch so einiges zu bieten: Ihr Buch schaffte es unter die besten 5 Schweizer Bücher des Jahres und war auf der Shortlist für den Schweizer Buchpreis.

Das soziale Engagement soll in der Weihnachtszeit ganz besonders im Zentrum stehen. Veronika Sutter ist für Non-Profit-Organisationen tätig, sie engagiert sich im Vorstand des Frauenhauses Zürich und auch bei Greenpeace. Sie würde sich sehr freuen, wenn ihr soziales Anliegen bei den Leserinnen und Lesern ihres Buches etwas auslösen könnte, sagte sie mir im Exklusiv-Interview für Radio Rottu Oberwallis.

„Ich war viele Jahre im Vorstand des Frauenhauses Zürich und das hat mir wesentlich geholfen bei den Recherchen und bei der Erarbeitung des Stoffes.“

Veronika Sutter im Gespräch mit Kurt Schnidrig

Die Geschichten handeln primär von Frauen, aber auch von Männern. „Bei Beziehungsproblemen sind ja immer zwei Partner beteiligt“, sagt Veronika Sutter. Ihre Geschichten hat sie angesiedelt zwischen den beiden grossen Frauen-Streiks von 1991 und 2019. Es handelt sich um 15 lose Erzählungen über Beziehungen. Das Besondere daran: Immer geht es auch um jene Kippstelle, die dafür verantwortlich ist, dass sich Liebe in Gewalt verwandelt. Die Protagonist*innen in ihrem Buch „Grösser als du“ leben mit einem Geheimnis, weil Scham und Verleugnung sie daran hindern, über das zu reden, was hinter ihrer Haustüre passiert. Alle Figuren in den Beziehungs-Geschichten sind miteinander verbunden, genauso wie im richtigen Leben auch. Wenn man nämlich miteinander redet, ergibt sich in den allermeisten Fällen ein Verbindungspunkt.

„Ich bin Autodidaktin. Ich lerne mich erst als Schriftstellerin kennen. Die Form der Geschichten mit den Figuren, die miteinander verbunden sind, hat mich überzeugt. Es ist ja auch im richtigen Leben so. Wenn man miteinander redet, findet man bestimmt irgendeinen Verbindungspunkt. Das fand ich beim Schreiben reizvoll. Deshalb habe ich mit den Figuren ein Beziehungsnetz gewoben.“

Veronika Sutter im Gespräch mit Kurt Schnidrig

Eine Geschichte, die in unsere virenverseuchte Zeit passt, hat dem Erzählband den Titel gegeben: „Grösser als du“. Die Geschichte handelt von der Frau Caro, die gerne einen Job in der Klinik für Infektionskrankheiten annehmen möchte. Caros Partner heisst Rolf. Er steht ein Jahr vor der Pensionierung. Rolf glaubt, dass er „vorbelastet“ sei und dass Caro mit ihrem Job in der Klinik für Infektionskrankheiten für ihn ein Ansteckungs-Risiko darstelle. „Aber das ist dir egal. Du setzt mich Tag für Tag dem Risiko einer Infektion aus, jeden Tag kannst du das Virus in die Wohnung schleppen, hier in dieses Schlafzimmer, in dieses Bett, in diesen Körper“, klagt Rolf. Und Rolf geht noch weiter. Er droht: „Wenn du das machst, wenn du diesen Job annimmst, sind wir getrennte Leute.“ Caro macht mit Rolf eine Schocktherapie. Ob sie wirkt? Ob sie die angeschlagene Beziehung mit Rolf retten kann?

„Rolf“, hatte sie gelacht, „dir macht doch fast alles Angst. Nimm irgendetwas Naheliegendes. Du könntest in die Limmat springen, zum Beispiel. Du ziehst die Badehose an, wir gehen runter zur Limmat und du springst hinein.“

Aus: „Grösser als du“ von Veronika Sutter, S. 181

Mein Fazit. Veronika Sutters Buch zeigt, was wichtig ist in jeder Beziehung. Vor allem führen uns die Geschichten vor Augen, wie schnell doch eine Liebe umschlagen kann in Ablehnung und in Gewalt. Die Autorin erzählt berührend und mitfühlend, die Geschichten faszinieren uns beim Lesen immer wieder mit völlig überraschenden Wendungen. Veronika Sutter erzählt präzis, so präzis und lebensecht, dass nach der Lektüre wohl viele von uns dieses oder jenes in den eigenen Beziehungen, irgendetwas, was vielleicht auch nicht immer so richtig funktionieren will, zu hinterfragen imstande sind.

Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig