Mit Geschichten gegen die Klimakrise

Bröckelnde Berge – Auswirkungen der Klimakrise? (Bild: Kurt Schnidrig)

Können Geschichten dazu beitragen, die Auswirkungen der Klima-Krise zu mildern? Können Erzählungen ein Rettungsring sein für unsere gebeutelte Umwelt und für die vielen ungelösten politischen Probleme? Fest steht: Geschichten sind an vielem schuld, an Gutem, aber auch an weniger Gutem. Was man mit Geschichten so alles anrichten kann, das haben Wissenschaftler untersucht. Samira El Quassil und Friedemann Kraig haben die Wirkung von Geschichten untersucht und sind dabei zu verblüffenden Resultaten gelangt, die sie nun im Sammelband „Erzählende Affen“ (Ullstein Verlag) vorlegen.

Nebeldecke über dem Rhonetal. Ein Natur-Schauspiel, das sich mir in diesen Tagen bietet, wenn ich von meinem Arbeitszimmer hoch oben auf dem Brigerberg hinunter ins Tal blicke. Geschichten, die davon erzählen, weshalb wir da oben Sonnenkinder sind und die da unten im Tal Schattengewächse, sind nicht wenige zu hören. Auch wenn die Geschichten zuweilen mit einem Schmunzeln erzählt werden, haben sie doch oft einen manipulativen Charakter. Den manipulativen Charakter von Geschichten gelte es zu nutzen, schreiben die Autoren des Buches mit dem Titel „Erzählende Affen“. Sie sind der Meinung, man müsste über die Klima-Krise ganz neu und ganz anders erzählen, um bei diesem festgefahrenen Thema die Menschheit noch zu Verhaltensänderungen bewegen zu können.

Manipulative Geschichten motivieren zu Verhaltensänderungen. Greta Thunberg hat vorgemacht, wie sowas funktionieren könnte. Wenn Greta Thunberg mit einem Pappschild vor einem Parlament auftaucht, dann bringt sie innovative Geschichten in Gang, welche die Menschen dazu motivieren, ihr Verhalten zu überdenken und zu verändern. Auf Gretas Pappschild steht zum Beispiel: „Schulstreik für das Klima“. Es ist dies der erste Satz, der eine manipulative Geschichte in Gang setzt. Dieser eine Satz auf Gretas Pappschild hat weltweit Millionen von Kindern und Jugendlichen zu den „Fridays for Future“ motiviert. In der Sprechakt-Theorie ist der Satz „Schulstreik für das Klima“ auf Gretas Pappschild ein Satz, mit dem illokutionäre Akte vollzogen werden, das heisst, Millionen von jungen Menschen vollbringen eine Sprechhandlung, indem sie Gretas Satz konkretisieren und ergänzen. Wir sprechen von „performativem Erzählen“. Der Begriff „Performativität“ bezeichnet die Ausführung oder Konkretisierung des gesprochenen Wortes.

Brauchen wir heute neue Geschichten? Oder müssten wir Geschichten anders erzählen? Was wir von Greta Thunbergs Geschichten lernen können: Plötzlich haben sich viele Menschen wieder Gedanken gemacht zur Klima-Krise und zu unserer Haltung gegenüber der Umwelt und gegenüber der Natur. Manipulative Geschichten motivieren Menschen dazu, ihr eigenes Verhalten zu hinterfragen. Der Erdöl-Konzern British Petroleum hat aufgrund derartiger Überlegungen die manipulative Geschichte des CO2-Fussabdrucks erfunden, um den Menschen drastisch vor Augen zu führen, dass wir alle selber schuld sind an der Umwelt-Misere.

Brauchen wir Helden-Geschichten? Besonders in den Boulevard-Medien werden Heldinnen und Helden en masse produziert. Bis noch vor wenigen Jahren waren ein Held das Produkt der Traumfabrik Hollywood. Heute entspringen Helden vorab Fernseh- und Netflix-Serien. Zu jedem Held und zu jeder Heldin gehört auch eine Geschichte. Der Held zieht in die Welt hinaus, er erlebt Abenteuer und besteht Prüfungen, er scheitert, macht aber trotzdem weiter, schlussendlich kommt er zurück in seine Welt, dort löst er Probleme aufgrund seiner Erfahrungen, die er in der grossen weiten Welt gemacht hat. Das „Problem“ bei derartigen Helden-Geschichten besteht allerdings darin, dass man ob all den Helden und Stars, die da aus den Medien auferstehen, die wahren Helden des täglichen Lebens vergisst.

„Erzählende Affen“ – der Titel des Sammelbands ist doppeldeutig. Forscher wollen herausgefunden haben, dass sich das Geschichten-Erzählen bei Affen-Horden herausgebildet hat und später von der Spezies Mensch übernommen worden ist. Affen lausen sich, sie picken sich die Läuse aus dem Fell. Dabei soll es sich um einen Liebesdienst handeln, um ein Verhalten, aus dem sich das heutige Tratschen und Diskutieren, der Small Talk, entwickelt hat. Sich Geschichten zu erzählen, der Small Talk also, ist fester Bestandteil unseres modernen Lebens. Wenn wir einander Geschichten erzählen, entstehen aber auch Mythen und Legenden, manchmal auch Lügengebilde. Heute sprechen wir von „Fake News“. Damit können missgünstige Zeitgenossen ihre Mitmenschen in Misskredit ziehen. Es können dabei Vorurteile entstehen, die oftmals kaum mehr zu korrigieren sind. Tatsächlich kann das Erzählen von Geschichten auch problematisch sein. Die Autoren des Buches „Erzählende Affen“ haben herausgefunden, dass der ehemalige US-Präsident Donald Trump nicht weniger als 30’500 falsche Geschichten verbreitet hat. Aus solch negativ manipulierenden Geschichten soll beispielsweise der Sturm aufs Kapitol im Januar 2021 resultiert haben.

„Beurteilen Sie diesen Gipfel nicht nur als Erfolg oder Misserfolg. Allein die Tatsache, dass die Menschheit Wege gefunden hat, sich Geschichten über unser Klima und über unsere Umwelt zu erzählen, ist schon viel wert.“

Kim Stanley Robinson, Science-Fiction-Autor, am Klima-Gipfel von Glasgow

Hauptsache, wir reden miteinander. Die Wissenschaftler empfehlen, dass wir von der Vorstellung Abschied nehmen sollten, dass jede Geschichte einen Helden haben und ein glückliches Ende nehmen muss. Schon einfach mal zusammen reden, einander Geschichten erzählen, kann helfen. Am Klima-Gipfel in Glasgow hat der Science-Fiction-Autor Kim Stanley Robinson den Klimaforschern folgenden Ratschlag erteilt: „Beurteilen Sie diesen Gipfel nicht nur als Erfolg oder Misserfolg. Allein die Tatsache, dass die Menschheit Wege gefunden hat, sich Geschichten über unser Klima und über unsere Umwelt zu erzählen, ist schon viel wert.“ Das ist es wohl, was wir von den lausenden und „erzählenden“ Affen lernen könnten.

Text, Foto und Radiosendung: Kurt Schnidrig