Buchvernissage im Kinderdorf: „Den Menschen ein Gesicht geben“

Talkmasterin Maya Burgener mit den beiden Autoren Franco Arnold und Lothar Berchtold. (Foto: Kurt Schnidrig)

Dieser Beitrag erschien in sehr gekürzter Form im Online-Portal und in gekürzter Form im Walliser Bote vom 22.03.2022.

Ein Schulheft der besonderen Art schufen Lothar Berchtold und Franco Arnold. „Wir wollen Geschichten von Menschen bringen und nicht eine Historie der Entwicklung“, sagen die beiden Autoren. Leckerbissen aus dem als „Schulheft“ aufgemachten Buch servierte Brunhilde Matter, Präsidentin des Oberwalliser Kinderhilfswerks, an der Vernissage. Als Moderatorin führte sie kenntnisreich durch einen Abend, der vor allem auf unterschiedliche Geschichten von Menschen setzte, welche das Leben im Kinderdorf prägten. Für die musikalische Unterhaltung sorgte das hauseigene Trio „Maredel“. Als Talkmasterin präsentierte Maya Burgener die beiden Autoren und ihre Arbeit.

Wie nur all jenen Menschen in einem 86-seitigen Werk gerecht werden? „Das war tatsächlich ein grosses Problem“, sagt Franco Arnold. „Wir hoffen, dass das Wichtigste drin ist, vielleicht wird der eine oder andere Protagonist dennoch enttäuscht sein.“ Die Autoren gaben ihrer Fantasie reichlich Ausgang, wenn es darum ging, die Einträge im „Schulheft“ möglichst lebensecht, volkstümlich und leicht lesbar zu gestalten. „Ich durfte einen Tag lang mit einem Mädchen verbringen, mit Katja“, berichtet Lothar Berchtold. „Mit ihr durfte ich eine Turnstunde besuchen und an einer Therapielektion teilnehmen“. So habe er miterlebt und mitbekommen, wie die Kinder sich benehmen, woran sie Freude haben und was ihnen Sorgen bereitet. Und Franco Arnold stimmt ein: „Vor allem der Einblick in den Schulalltag war für einen wie mich, der nicht im Schulfach tätig ist, hoch spannend.“

Schülerin Katja gab an der Vernissage einige Passagen aus ihrem Werk zum Besten. (Foto: Kurt Schnidrig)

Märchenhaft und prosaisch. „Es war einmal ein Königreich, das sich über himmelhohe Berge und malerische Täler, funkelnde Gewässer und duftende Wälder erstreckte.“ So beginnen Märchen, und als ein solches erachtet Pascal Schnydrig die Anfänge des Kinderdorfs, die er aus architektonischer Sicht in ein Märchen kleidet. Er ist Mitglied der Stiftung Heidi und Peter Wenger, die den wabenförmigen Bau im Jahr 1972 aller Unkenrufe zum Trotz realisierte. „Als alle Hoffnung schon fast verloren schien, geschah plötzlich wie durch Zauberhand etwas Wunderbares. Eine Gruppe guter Feen beschloss ein Bündnis mit dem Ziel, Menschen zu helfen“, erzählt Schnydrig in seinem Herkunfts-Märchen. Das Märchen offenbart, worauf die damaligen Baukünstler grossen Wert legten: „In einem Dorf für Kinder dürfen Erwachsene und viele Kinder aller Altersstufen leben. Es darf summen wie ein Bienenstock vor Gelächter, Geschrei und Gekicher. Es darf getobt, gerannt, gelernt, getanzt und gespielt werden.“ Trotz all dem Märchenhaften ist aber auch von Prosaischem zu berichten. Dazu gehören nebst den Geburtswehen auch Vorurteile, die leider bis heute noch weit verbreitet sind. Immer noch werde als ein „Makel“ angesehen, wenn ein Kind nach Leuk gehen müsse, gestehen Eltern im „Schulheft“ freimütig. Auch heute noch falle es manchen Betroffenen schwer, die schulischen Defizite ihrer Kinder zu akzeptieren.

Moderatorin Brunhilde Matter beschenkte die Verantwortlichen von Früher und Heute mit dem „Schulheft“. (Foto: Kurt Schnidrig)

Die Menschen im Fokus. Das Publikations-Team, dem nebst den beiden Autoren auch der Kinderdorf-Direktor Patrice Schnydrig und die Kinderhilfswerks-Präsidentin Brunhilde Matter angehören, legt den Fokus auf das Leben der Kinder und Jugendlichen sowie auf die Mitarbeitenden des Kinderdorfs. Das Buch wird dergestalt zu einer Lebensgeschichte des Kinderdorfs selbst. Es ist ein vielschichtiges Buch, das die Menschen zu Wort kommen lässt, Menschen, die im Kinderdorf gelernt, gelacht, gearbeitet, gelitten, geweint, geschwitzt und geliebt haben. Besonders einfühlsam geben die in jedes der sieben Kapitel eingestreuten Programmpunkte aus dem Tagesablauf das Alltagsleben der Kinder und Jugendlichen wieder, von „Aufstehen“ über „Ab in die Schule“ bis „Lernen und Therapie“ und „Freie Zeit“.

Unabdingbar und hilfreich. Es ist das Verdienst aller Mitarbeitenden, mit dem Kinderdorf Leuk eine zukunftsweisende Institution geschaffen zu haben. „Ich glaube, das Kinderdorf hat einen starken und gefestigten Platz im Oberwallis“, resümiert Franco Arnold, „die Schülerinnen und Schüler nehmen viel fürs Leben mit und man sieht den Nutzen für die Gesellschaft. Das Kinderdorf wird noch weitere 50 Jahre lang vielen Menschen helfen können.“

Das hauseigene Trio „Maredel“ umrahmte die Vernissage stimmungsvoll. (Foto: Kurt Schnidrig)

Das „Schulheft“ ist erhältlich im Kinderdorf, am Welt-Autismus-Tag am 2. April in Brig, auf dem Schlossmarkt in Leuk am 9. April, auf dem Ostermarkt in Visp am 27. April und am Kinderdorffest am 21. und 22. Mai.

Hören Sie das Original-Interview mit den Autoren Lothar Berchtold und Franco Arnold. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig)

Text, Fotos und Interview: Kurt Schnidrig