Wie viel Wissenschaft erträgt unsere Natur?

„Artenvielfalt“ oder „Biodiversität“? Brauchen wir mehr volksnahe Bücher über die Bedeutung von Natur und Umwelt? (Foto: Kurt Schnidrig)

Eine Einladung zur Buchvernissage flatterte auf meinen Schreibtisch. Sie stammt von Hanspeter Latour. Mit seinem Buch möchte er uns auf die Schönheit und Bedeutung der Artenvielfalt der bei uns vorkommenden Tiere und Pflanzen aufmerksam machen. Das Auffallende an dieser Einladung ist das Versprechen, das Werk sei „authentisch, verständlich und ohne wissenschaftlichen Hintergrund“. Der Autor hält mit seiner Meinung nicht hinter den Berg. Er möchte seine Beobachtungen, Fotografien und Erzählungen explizit „ohne wissenschaftlichen Hintergrund“, dafür hoffentlich für die durchschnittlich naturinteressierte Bevölkerung verständlich und selbst erlebbar machen, schreibt er.

Die Experten verstehen immer mehr über die Zusammenhänge. Dafür die Allgemeinheit immer weniger.

Hanspeter Latour

Hanspeter Latour (1947) kommt aus der Sportszene. Bekanntheit erlangte er als Trainer des FC Thun, des Grasshopper-Clubs Zürich und des 1. FC Köln. Dass Hanspeter Latour darüber hinaus auch ein begeisterter Naturbeobachter und -fotograf ist, belegt er nun mit seinem Buch. Er möchte sich nach eigenen Worten dafür einsetzen, dass sich Gesellschaft, Wirtschaft und Natur positiv ergänzen.

„Biodiversität“ – so heisst sein Buch. Ausgerechnet. Warum ein derart wissenschaftlicher Titel für ein bewusst unwissenschaftliches Buch? „Das Wort Biodiversität habe ich als Titel gewählt, damit der heute geläufige und sicher passende, aber nicht immer verstandene Begriff hoffentlich für mehr Menschen verständlich wird“, sagt Hanspeter Latour. Diese Aussage wirkt tröstlich, denn immerhin öffnet der Autor der Wissenschaft doch noch ein Hintertürchen. Er habe 365 Beobachtungen und Geschichten aus dem Fundus der letzten Jahre, unaufgeräumt und nur grob der Jahreszeit entsprechend, zu einem Jahr Biodiversität zusammengestellt, erläutert der Autor und präzisiert: „Ich möchte dazu anhalten, diese Vielfalt mit der nötigen Verhältnismässigkeit zu schützen und zu fördern.“

Weberverlag, 412 Seiten, um CHF 39.-

Ist Populärwissenschaft die Rettung für unsere Natur und Umwelt? Ja und Nein. Um zu zeigen, wie viel Grossartiges die Natur für uns bereithält, braucht es die wissenschaftlichen Ausführungen mit Sicherheit nicht. Das primäre, naive, kindliche Staunen ob dem Zauber und den Wundern der Natur gilt es wieder zu erlernen! Hanspeter Latour erzählt, wie er sich seit seiner Kindheit für die Natur interessiert habe. Bereits sein Vater sei ein grosser Naturfreund gewesen. „Bei uns wurde die Vielfalt, Verschiedenheit und Wichtigkeit unserer Pflanzen und Tiere betont. Gegenüber Naturschutzgebieten waren wir sehr respektvoll und wussten, dass sie zum Erhalt gewisser Arten und Lebensräume nötig waren. Das Wort Biodiversität kannte ich damals noch nicht.“ Bestimmt ist dieses primäre Naturverständnis grundlegend. Doch reicht dies bereits aus, um den „offensichtlich bedenklichen Zustand unserer Natur“ (Hanspeter Latour) wieder ins Lot zu bringen? Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind gefordert. Es gilt, die hoch komplexen Zusammenhänge unseres Ökosystems und der Artenvielfalt verständlich und trotzdem fundiert der Allgemeinheit spannend und nachvollziehbar zu vermitteln. Doch wie sieht die entsprechende Methodik aus?

Populärwissenschaftliche Literatur richtet sich in Form, Aufbau und Stil an interessierte Laien. Besonders wichtig in dieser Zielgruppe sind Kinder und Jugendliche. Statt eines wissenschaftlichen Schreibstils befleissigt sich die populärwissenschaftliche Literatur eher eines journalistischen Schreibstils. Dazu gehört etwa der Verzicht auf wissenschaftliche Termini. Sachverhalte werden häufig ohne Prüfung und ohne Quellenangaben vermittelt, was die populärwissenschaftliche Literatur nicht selten in ein schiefes Licht rückt. Die Gefahr besteht, dass diese Art von Literatur sowohl Verschwörungstheorien als auch „Fake News“ begünstigt. Hingegen lässt sich die Verständlichkeit wissenschaftlicher Originaltexte durch einfache sprachliche Mittel signifikant verbessern. Die Anordnung und die Gliederung der Gedanken, etwa durch Absätze, die Sinnzusammenhänge verdeutlichen, ist dabei wichtig. Zum Verzicht auf unnötige Ausschweifungen und auf Substantivierungen wird geraten. Stattdessen trägt der Einsatz von Verben zu einem lebhaften Schreibstil bei. Für zusätzliche Anregungen in der populärwissenschaftlichen Literatur sorgen eine bildhafte Sprache und visuelle Darstellungsmittel wie Bilder oder Grafiken.

Text, Foto und Radiosendung: Kurt Schnidrig