Wenn Kinder lesen lernen: Tipps zur Lesemotivation

Lesen beflügelt die Phantasie. Im Bild: Fantasyautorin Joanne Gattlen im Gespräch mit rro-Literaturexperte Kurt Schnidrig. (Bild: Schnidrig)

Lesen bereichert, Lesen beflügelt die Fantasie, Lesen schafft Verständnis, Lesen erschliesst Neues und Lesen vermittelt Erfahrungen. Wenn ein Kind mit dem Lesen beginnt, taucht es ein in eine bisher unbekannte Welt. Plötzlich geben die kleinen schwarzen Zeichen auf den Seiten eines Buchs ihre Bedeutung preis. Das Kind kann sich vieles selbst erschliessen und ist nicht mehr auf die Hilfe von Erwachsenen angewiesen: Strassen-Namen, Leuchtreklamen und natürlich auch Geschichten. Dadurch erlangt das Kind eine bisher nie für möglich gehaltene Selbständigkeit. Mit Fug und Recht lässt sich von einem Meilenstein im Leben des Kindes sprechen. Damit es aber mit dem Lesenlernen und mit dem eigenständigen Lesen wie gewünscht vorangeht, braucht es Erfolgserlebnisse.

Einige Kinder sind leicht fürs Lesen zu begeistern, anderen hingegen fällt der Prozess des Lesenlernens ungemein schwer. Die Freude und der Spass am Lesen stellt sich nicht immer ganz von alleine ein. Zuweilen braucht es einige Tipps und Denkanstösse für all jene, welche den Kindern beim Lesenlernen zur Seite stehen möchten.

Wer als Erwachsene(r) selber gerne liest, dem fällt auch die Betreuung der kleinsten ABC-Schützen sehr viel leichter. Zu Hause sollten immer spannende Lesestoffe vorhanden sein. Das Kind sollte in einer Umgebung aufwachsen dürfen, die ihm immer wieder signalisiert, dass das Lesen wichtig und wertvoll ist, dass das Lesen ein lohnender Zeitvertreib ist.

Macht Übung wirklich den Meister, wie eine alte Spruchweisheit behauptet? Hier gilt es, Vorsicht walten zu lassen. Wenn Ihr Kind mit dem Lesen viel Mühe bekundet, kann dies mehrere Ursachen haben. Zum Beispiel könnte eine Legasthenie schuld daran sein. Oder eine Sehstörung. Oder eine rezeptive Sprachentwicklungs-Störung. Um herauszufinden, woran Ihr Kind leidet, braucht es möglicherweise unterstützende Fachleute. Lehr- und Erziehungspersonen allein können im Einzelfall nicht immer erfolgreich Unterstützung bieten.

Wenn ein Kind nicht versteht, was es gelesen hat, fehlt ihm häufig die Lese-Flüssigkeit. Das Kind liest dann langsam und stockend. Wenn der Lesefluss sich nicht wie gewünscht einstellt, muss sich das Kind so sehr aufs Lesen konzentrieren, dass es nicht versteht, was es soeben gelesen hat. In diesem Fall können Lehr- oder Beziehungspersonen hilfreich eingreifen. Und Fachleute, die professionelle Leseförderung betreiben, können den Hebel vermutlich noch besser ansetzen als gestresste Eltern oder Lehrkräfte, die oftmals bereits allzu Vieles zu managen haben.

Die Kinder-Psychologie spielt beim Lesenlernen ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Psychologinnen und Psychologen sprechen von einem „Leseselbstkonzept“. Was ist damit gemeint? Wenn ein Kind sich selbst als schlechte Leserin oder als schlechten Leser wahrnimmt, hat es ein schlechtes Selbst-Konzept von sich als Leser. In diesem Fall ist viel Fingerspitzengefühl gefragt. Es gilt zu vermeiden, dass ein Kind zur Überzeugung gelangt: Ich bin einfach kein Leser! Ich bin einfach keine Leserin! Wie lässt sich aber ein solch fatales Selbst-Konzept vermeiden? Am besten ist es, das Kind auch immer wieder zu loben, und dies auch für kleinste Fortschritte. Das Kind „verstärken“ in seinen Bemühungen. Das Kind soll stolz auf sich selbst sein können. Und es soll immer wieder das Gefühl haben: Das mit dem Lesen klappt jetzt schon ein wenig besser! Fortschritte beim kindlichen Lesen lassen sich gut sichtbar machen, indem man die gesteigerte Lese-Geschwindigkeit misst.

Die Wahl der Lesestoffe ist wichtig. Die Texte sollten ein Kind weder überfordern noch langweilen. Deshalb ist es wichtig, dass der Lesestoff den Interessen des Kindes entgegenkommt, und zwar sowohl bezüglich des Umfangs als auch des Inhalts. Unter „Umfang“ verstehen wir nicht bloss die Anzahl Seiten. Der Umfang wird auch bestimmt durch die Länge der Sätze. Finden sich im Buch komplizierte Schachtelsätze oder eher knackige, flotte, kurze Sätze? Auch auf die Wortwahl ist zu achten. Sind die Wörter auch kindgerecht und leicht verständlich? Die Schriftart in einem Buch ist ebenfalls entscheidend. Eine zu kleine Schrift hält nicht selten kleine ABC-Schützen vom Lesen ab. Auf Altersempfehlungen ist nicht immer Verlass! Nicht jedes Kind ist in seiner Entwicklung gleich weit wie die anderen. Behalten Sie deshalb Ihr eigenes Kind und dessen Bedürfnisse im Auge.

Auch das digitale Lesen ist hilfreich. Lesen auf dem Natel, im Chat, beim Gamen auf dem Computer – auch damit kann man eine gute Leserin oder ein guter Leser werden. Auch das digitale Lesen ist hilfreich und sollte nicht abwertend behandelt werden. Freuen wir uns also über jede Art des Lesens! Fachleute geben Entwarnung: Auch wenn ein Kind irgendwelche Unterhaltungs-Texte oder Sprechblasen-Texte in Comics liest, vertrauen sie darauf, dass sich ein Kind auch so zu einer routinierten Leserin oder gar zu einem passionierten Lesefuchs entwickeln kann.

Fehler, die es unbedingt zu vermeiden gilt? Bitte vermeiden Sie so fatale Sätze wie „Du musst endlich mehr üben!“ oder „Kannst du denn nicht aufpassen, du hast schon wieder falsch gelesen!“ oder „Du verschluckst ja beim Lesen die Hälfte!“ – Bestimmt sind Ihnen derartige Verbesserungs-Versuche auch schon zu Ohren gekommen. Sie sind zwar gut gemeint, sie sind in ihrer Wirkung jedoch fatal. Je mehr ein Kind das Lesen mit negativen Gefühlen verbindet, umso mehr wird es sich vor dem Lesen ängstigen. Schliesslich wird es das Lesen gänzlich zu vermeiden versuchen.

Positive Lese-Gefühle vermitteln! Es gilt also, das Lesen und dessen Vermittlung mit positiven Gefühlen zu verbinden. Das Vorlesen kann bei Erstlesern sehr hilfreich sein, auch dann noch, wenn diese selbst schon entziffern können, was da steht. Immer sollte das Vorlesen jedoch in angenehmer Atmosphäre stattfinden und ohne lästige Unterbrechungen durch Telefonanrufe oder Störungen durch Mitbewohner. Die zwischenmenschliche Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern lässt sich auf diese Weise stärken, und diese wiederum generiert positive Gefühle gegenüber dem Lesen.

Die Sendung „Literaturwälla“ auf rro von Sonntag, 14. August, befasste sich mit dieser Thematik.

Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig