Shootingstar Kim de l’Horizon gewinnt den Schweizer Buchpreis

Shootingstar Kim de l’Horizon hat gut lachen: Auf den Deutschen Buchpreis folgt nun auch der Schweizer Buchpreis. (Copyright Foto: Kurt Schnidrig)

Das „Blutbuch“ fange nicht nur den Zeitgeist ein, sondern sprenge auch die Grenzen der Sprache, freut sich die fünfköpfige (Frauen-)Jury im Theater Basel und kürt Kim de l’Horizons Roman zum besten Deutschschweizer Buch 2022. Eine echte Überraschung stellt der Jury-Entscheid nicht dar. Eine offene Frage war eigentlich nur, ob (gemäss Umfragen) Publikums-Liebling und Altmeister Thomas Hürlimann das Rennen an der Spitze der Nominierten doch noch spannend gestalten könnte. (Lesen Sie dazu auch meine Betrachtungen, die ich wenige Stunden vor der Preisverleihung geschrieben habe.)

Bei der Präsentation der Nominierten im Volkshaus Basel lieferte Thomas Hürlimann eine grossartige Performance ab, während Kim de l’Horizon sein Publikum zwar immerhin mit einem selbst gesungenen Lied verwöhnte. Sein Auftritt liess Besucherinnen und Besucher jedoch auch mit offenen Fragen zurück. Wer hinter die Kulissen horchte, dem wurde beschieden, dass der Entscheid der Jury zu diesem Zeitpunkt bereits gefallen und alles entschieden war.

Kim de l’Horizons Präsentation im Volkshaus Basel liess das Publikum mit offenen Fragen zurück, auch wenn er sich singend „davonmachte“, wie er sich auszudrücken pflegte. (Copyright Foto: Kurt Schnidrig)

Die Wahl zwischen de l’Horizon und Hürlimann war gewiss keine leichte Wahl. Als hervorragend, weltklug und raffiniert konstruiert gilt Hürlimanns Text. Bestimmt wäre für den bald 72-jährigen gestandenen Literaten und Altmeister Hürlimann die Verleihung des Schweizer Buchpreises auch eine Ehrung für sein grandioses Lebenswerk gewesen.

Kim de l’Horizon hat mit „Blutbuch“ Erfahrung in Literatur verwandelt und erzählerisches Neuland betreten.

Aus der Begründung der Jury für den Schweizer Buchpreis

Die Jury entschied aufgrund ihres Reglements. Darin steht, dass „das beste erzählerische oder essayistische deutschsprachige Werk der Schweiz“ zu küren sei. Der Schweizer Buchpreis wird gemäss Reglement also nicht für ein Gesamtwerk verliehen, sondern für eines der isoliert nominierten Bücher. So gesehen, lässt sich die Entscheidung der Jury verstehen und vertreten. „Blutbuch“ ist ein äusserst dringliches Buch, es bedient eines der meist tabuisierten Themen der Zeit, es ist radikal und insbesondere für eine Zielgruppe auch existenziell.

Kim de l’Horzon überzeugt lesend, stellt jedoch sein Publikum kommunikativ oftmals auf eine harte Probe. (Copyright Foto: Kurt Schnidrig)

Wer ist eigentlich Kim de l’Horizon? Der Mensch Kim de l’Horizon fühlt sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig. Mit Jahrgang 1992 ist er in Ostermundigen (BE) aufgewachsen. Das „Blutbuch“ ist sein Debüt, das Schreiben pflege er jedoch schon lange, ist ihm zu entlocken. Er hat bereits Lyrik, Prosa und Theaterstücke verfasst. Er ist Mitglied der Redaktion des Literaturmagazins „Delirium“. In der Spielzeit 1920/21 übernahm de l’Horizon eine Hausautorenschaft an den „Bühnen Bern“.

Seine „Nonbinarität“ ist auch Thema im „Blutbuch“. Die Erzählinstanz, die in der Ich-Form schreibt, heisst folgerichtig ebenfalls „Kim“. Das Buch bewirtschaftet die Problematik einer non-binären Person, die sich in einer durch und durch binaritäts-fixierten Welt zurechtfinden muss. Subthemen im Buch lassen sich jedoch auch finden, so etwa die Stellung der Frau in der modernen Gesellschaft, die Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Klassen oder das Schreiben und die Sprache allgemein.

Ist die Entscheidung für das „Blutbuch“ vor allem eine zeitgeistige oder eine literarische? Über diese Frage lässt sich trefflich debattieren.

Hören Sie den Podcast aus der Live-Sendung von Radio Rottu Oberwallis zur Verleihung des Schweizer Buchpreises im Theater Basel. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig / Daniel Theler)

Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig