Daniela Dröscher im Stile einer Literatur-Nobelpreisträgerin?

Daniela Dröscher (links) wird in Deutschland in einem Atemzug mit Annie Ernaux, der Literatur-Nobelpreisträgerin, genannt. (Bild: Kurt Schnidrig)

Wann wird ein Buch zu einem Bestseller? Wohl vor allem dann, wenn die Autorin ein Thema behandelt, das viele von uns anspricht. „Lügen über meine Mutter“ (Roman bei Kiepenheuer & Witsch, 2022) wurde an der Frankfurter Buchmesse hoch gelobt, auf die Shortlist gesetzt und von der Literaturkritik den Werken der soeben mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Schriftstellerin Annie Ernaux gleichgesetzt.

Daniela Dröscher vermittelt in ihrem Buch ein neues Selbstbewusstsein, insbesondere ein neues feminines Selbstbewusstsein für Frauen von heute. Die Botschaft ihres Buches hört sich einfach an: Nimm dich selbst so, wie du bist. In heutiger Zeit, in der die „Influencer“ und andere Besserwisser den Mainstream prägen, ist es jedoch überhaupt nicht einfach, sich selbst zu bleiben. Zufrieden und glücklich zu sein mit dem, was man hat, und mit dem, was man ist, bietet sich als wichtigstes Gebot unserer Zeit an.

Eine Mutter vermittelt ihrer Tochter so lebensechte Werte wie: Du bist etwas Besonderes; du bist wunderschön, so wie du bist; du bist talentiert; du bist stark; in dir ist alles. Aber nimm dich in Acht vor Menschen, die bestimmt noch kommen werden, um dir zu suggerieren, dass irgendetwas an dir nicht gut genug oder dass irgendetwas an dir zu viel ist. Dass du zu dick bist oder zu dünn, dass du noch dieses und jenes an dir ändern müsstest. Lass dir nichts einreden.

Ein Ehemann und Vater macht seine Frau für alles verantwortlich, was in seinem eigenen Leben schiefläuft. Er findet, dass seine Gattin nicht vorzeigbar ist, und dass dies der Grund dafür ist, dass er an seinem Arbeitsplatz nicht die erhoffte Karriere-Leiter hochsteigen kann. Er empfindet seine Frau als „zu dick“ und verlangt von ihr, dass sie abnehmen solle. Die ehelichen Dispute arten aus, so dass der Ehemann schliesslich eine Waage anschafft, um das Gewicht seiner Frau in demütigender Art und Weise zu kontrollieren. Ganz anderer Meinung ist da Ela, die Tochter. Sie ist andauernd den Gehässigkeiten zwischen den Eltern ausgesetzt.

Ich verstand einfach nicht, was an meiner Mutter „dick“ sein sollte. Hier am Strand gab es Frauen, die garantiert viel mehr wogen, und vor allem gab es Männer, die ganz selbstverständlich ihre enormen Bäuche vor sich her trugen.

Tochter Ela in „Lügen über meine Mutter“

Ein besseres Selbstwert-Gefühl braucht die moderne Frau. Diesem hehren Anspruch steht die Tatsache entgegen, dass Männer nur allzu gern eine Vorzeige-Frau hätten. Und dass Männer ihre Ehefrauen für all das verantwortlich machen, was in ihrem eigenen Leben schiefläuft.

Daniela Dröscher in einem Atemzug mit Annie Ernaux zu nennen, das ist unbedingt angemessen.

Wiebke Porombka, Deutschlandfunk DLF

„Lügen über meine Mutter“ erzählt von einer Kindheit der 1980er. Sie wird beherrscht von der fixen Idee des Vaters, das Übergewicht seiner Frau wäre verantwortlich für alles, was ihm versagt bleibt: die Beförderung, der soziale Aufstieg, die Anerkennung in der Dorfgemeinschaft. Die Autorin spürt der Frage nach: Was sagt uns das aus über eine Gesellschaft, die ständig auf uns einwirkt, ob wir wollen oder nicht? Auf dem Prüfstand steht auch ein Jahrzehnt des deutschen Wohlstandsversprechens, in dem das „Weight Watching“ zu einer Formel für die soziale Kontrolle des weiblichen Körpers wurde.

Der Aufschrei nach mehr Toleranz und nach mehr Akzeptanz, insbesondere gegenüber Menschen, die in den Augen anderer nicht perfekt sind, ist unüberhörbar. Auch eine übergewichtige Person stemmt ihren Alltag, kümmert sich liebevoll um ihre Kinder, setzt sich ein für ihre Mitmenschen. Die ausufernde Kritik des Vaters an seiner zu dicken Frau erhält im Roman eine Gegenstück: Die Liebeserklärung der Tochter an ihre wunderbare Mutter wirkt wie eine Antithese zur oberflächlichen Weight-Watcher-These des Vaters.

Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig