Die Suche nach einer gendergerechten Sprache wird von queeren Persönlichkeiten neu entfacht

Setzt sich ein für eine gendergerechte Sprache, die auch queeren Persönlichkeiten gerecht wird: Simon Froehling. (Copyright Foto: Kurt Schnidrig)

Die Suche nach einer gendergerechten Sprache wird von non-binären Persönlichkeiten, welche die aktuelle Literaturszene prägen, neu entfacht. Es sind dies Schreibende, die weder Mann noch Frau sein wollen, sondern divers. In den vergangenen Wochen und Monaten war der Schreibende auf den grossen Buchmessen unterwegs. Was ich auf Literaturfestivals, Buchpreis-Vergaben und Buchfesten erlebt habe, lässt vor allem einen Schluss zu: Es muss ein absolutes Menschenrecht sein, dass wir den non-binären und queeren Persönlichkeiten entgegenkommen und unsere Sprache genderfluid und gendergerecht ausrichten.

Queere Persönlichkeiten sind sensible und fragile Künstler*innen. Sie etablieren zurzeit eine neue Literatur- und Schreibsprache. Protagonist*innen dieser genderfluiden Sprachgebung sind aus Schweizer Perspektive Kim de l’Horizon, ausgezeichnet mit dem Deutschen und dem Schweizer Buchpreis, sowie Simon Froehling, dessen Roman „Dürrst“ zu den besten fünf Büchern des Jahres 2022 gezählt werden darf. Queere Persönlichkeiten haben es satt, bei ihren Lesungen lediglich über HIV und AIDS zu sprechen.

„Ich würde so gern mal über Sprache sprechen und nicht nur darüber, mit wem diese oder jene Figur schläft.“

Simon Froehling

Wie schreiben queere Persönlichkeiten? Das preisgekrönte „Blutbuch“ von Kim de l’Horizon liefert Beispiele für eine gendergerechte und genderfluide Sprache en masse. Queere Schreibende vermeiden nach Möglichkeit die patriarchalisch geprägten Pronomen und Ausdrücke, über welche die deutsche Sprache bis zum Abwinken verfügt. In einem queeren Text wird das Pronomen „man“ ersetzt durch „mensch“, statt „niemand“ steht „niemensch“ oder statt „jemand“ ist neu „jemensch“ in Gebrauch.

„Es ist einer dieser Abende, die noch Winterabende sind, während mensch schon eine Vorahnung von Frühling riecht; ich spreche mit niemenschem, bin zufrieden; Ich fürchte mich immer vor der Möglichkeit, nachts aufzuwachen und nach jemensch anderem zu riechen.“

Sätze aus dem „Blutbuch“ von Kim de l’Horizon. (Fettdruck hinzugefügt)

Das sogenannte „Gendersternchen“ gelangt bei queeren Schreibenden konsequent zur Anwendung. Sie schreiben also über die „Freund*innen“ oder über die „Ärzt*innen“ usw. Zumindest ist es für alle Schreibenden angebracht, den Genderstern zumindest in der Anrede zu gebrauchen. Die Anrede „Herr und Frau“ muss zwingend ergänzt werden mit dem Geschlechts-Merkmal „divers“. Dies zumindest hat ein deutsches Gericht verfügt. Das Urteil der Richter*innen am Gerichtshof von Frankfurt am Main könnte wegweisend sein. Eine nicht-binäre Person war an das dortige Gericht gelangt mit der Klage, in der Deutschen Bahn würden als Anreden lediglich „Herr und Frau“, bzw. „Damen und Herren“ gebraucht. Das Gericht hat nun entschieden, dass die Deutsche Bahn diese Anreden zwingend ergänzen müsse mit dem Geschlechts-Merkmal „divers“.

„Ich erlebe Gewalt, weil ich queer bin, und vor allem, weil ich auch eine andere Sprache habe“, sagt Kim de l’Horizon. (Bild: Kurt Schnidrig)

Non-binäre Literat*innen gebrauchen als sensible Persönlichkeiten eine genderfluide Sprache. Kim de l’Horizon wehrt sich dagegen, dass er oder sie (der Name Kim kann sowohl männlich wie weiblich sein) wie ein Gegenstand behandelt wird. Besonders in der Schweiz ist der sächliche Artikel im Gebrauch, auch für Personen, wie etwa „ds Mami“, „das Anneli“, „das Regini“, „ds Hansi“ usw. Diese Vergenständlichung mache ihn wütend, schreibt Kim.

Warum ist das „Gendern“ wichtig? Mit einer genderfluiden Sprache lassen sich alle Geschlechter und Identitäten gleich behandeln. Bereits vor fünf Jahren wurde nebst dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht eine dritte Geschlechtsoption postuliert und eingeführt, die Option „divers“. Bis heute gibt es aus der Wissenschaft kein abschliessendes Votum dazu. Die Auseinandersetzungen und der Widerstand gegen das Gendern drehen sich vor allem um die Sonderzeichen. Genderzeichen stossen auf Kritik.

Meine Meinung? Eine geschlechtergerechte Sprache ist ein wichtiger Aspekt, um die Gleichbehandlung der Geschlechter zu fördern. Eine Sprache, die genderfluid ist, könnte dafür sorgen, dass Menschen offener über Geschlechter-Rollen denken. Sprache schafft Wirklichkeit, dies ein allseits anerkannter wissenschaftlicher Befund. Viele Menschen sind sich kaum bewusst, dass es ausser Mann und Frau auch noch intersexuelle Menschen gibt. Wir haben unsere Sprache der Welt anzupassen, in der wir leben. Und weil auf dieser Welt nicht nur Menschen leben, die sich als Mann oder als Frau definieren, ist meines Erachtens der gezielte und sinnvolle Einsatz von Genderzeichen die richtige Wahl. Dabei gilt es nun mal in Kauf zu nehmen, dass die Sprach-Ästhetik darunter leidet. Ist aber ein Text weniger lesefreundlich, nur weil da ein Gendersternchen vorkommt?

Die Diskussion, welche Sprachpuristen führen, zielt an der modernen Sprachwirklichkeit vorbei. Was zählt, das ist einzig der Gebrauch einer genderfluiden Sprache, die möglichst vielen Identitäten und Geschlechtern dient.

Text, Bilder und Radiosendung: Kurt Schnidrig