Lioba Happel und ihr soziales Anliegen: „Pommfritz aus der Hölle“ polarisiert

Die Sozialarbeiterin Lioba Happel schafft es mit „Pommfritz aus der Hölle“ unter die fünf besten Bücher des Jahres 2022. (Bild: Kurt Schnidrig)

Nicht nur zur Weihnachtszeit erreichen soziale Anliegen, gerne auch in Buchform, die Herzen einer grossen Leserschaft. Für die einen ist Lioba Happels Roman „Pommfritz aus der Hölle“ (edition pudelundpinscher) grosse Kunst, für die anderen ist das Buch schlichtweg zu brutal und einfach nur „too much“. Was die Autorin in ihrem Buch erzählt, geht auf eine Begegnung in einem Kinderheim zurück. Dort war ihr, der schulischen Sozialarbeiterin, ein Junge anvertraut, dessen wahre Geschichte ihr den Anstoss lieferte für den fiktiven Roman rund um den Protagonisten Fritz.

23 Briefe schreibt Fritz aus dem Gefängnis, alle handeln sie von seiner Kindheit. Fritz schreibt an seinen „Vatter“, den er aber nur einmal in seinem Leben zu Gesicht bekommen hat. Fritz schreibt auch über die Spezialschule, die er besuchen musste, und er schreibt über die Sozialarbeiterin vom Amt. Vor allem aber schreibt er über die rettende Begegnung mit der Literatur von Arthur Rimbaud. Die Literatur hatte für Fritz eine therapeutische Wirkung entfaltet. Das war auch bitter nötig, denn Fritz ist ein Mutter-Mörder.

Fritz schreibt über seine Mutter, die ihn immer wieder an ein Tischbein angebunden und geschlagen hatte, während sie seelenruhig ein „Poulet“ verzehrte. Eines Tages dann hatte Fritz seine Mutter erschlagen, und er hatte sogar noch ein Stück von ihr gegessen. Wie alles so weit hatte kommen können, das erzählt Lioba Happel berührend und aufwühlend im Buch „Pommfritz aus der Hölle“. Die Autorin erzählt furios und eindringlich, als Leser*in schafft mensch es kaum, das Buch zwischenzeitlich mal wegzulegen, auch wenn die Lektüre vielen Lesenden wohl das Blut in den Adern gefrieren lässt.

Pommfritz sei eine Kunstfigur, beteuert die Autorin. Lioba Happel, ausgebildet in Sozialer Arbeit, hat in ihrem Leben vieles gesehen und erlebt. Als Lehrerin, als Alten-Pflegerin und als Betreuerin von Kindern und Jugendlichen. In einer schulischen Einrichtung war sie einem Jungen begegnet, der alles zerstörte, was ihm in die Hände fiel. Lioba Happel, seine Lehrerin und Betreuerin, versuchte es mit Gedichten, ausgerechnet mit Gedichten. War es ein Literatur-Wunder, was dann geschah? Der Junge vertiefte sich in die Gedichte von Rimbaud und von Trakl und sein Kommentar erstaunt: „Das verstehe ich“, sagte der Junge.

„Darf es in der Literatur einen Affront geben? Ich möchte Grenzen ausloten beim Schreiben und schauen, wie sehr die Sprache da mitmacht.“

Lioba Happel im Gespräch am Buchfestival „Buch Basel“ im November 2022

Das soziale Anliegen der Autorin Lioba Happel ist gleichzeitig auch die Botschaft ihres Buches. Sie erzählt die Geschichte eines schwer verwahrlosten Kindes. Die Geschichte legt offen, wie in der Kindheit erlittene Verletzungen uns bis ins Erwachsenenalter hinein prägen können.

Literatur kann therapeutisch wirken, auch dies ist eine grandiose Message des Buches. Im geschilderten Fallbeispiel sind es die Gedichte von Rimbaud und von Trakl, die ihre heilende Wirkung entfalten. Passende literarische Texte können eine unschätzbar wertvolle Hilfe sein für Menschen, die den Halt im Leben verloren haben.

Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig