Thomas Hürlimann und sein Kloster-Roman „Der rote Diamant“

Im Gespräch mit dem wohl besten Schweizer Schriftsteller der Gegenwart, mit Thomas Hürlimann, am Literaturfestival „Buch Basel“. (Copyright Foto: Kurt Schnidrig)

Das Genre des Kloster-Romans hat vor 200 Jahren der Romantiker E.T.A. Hoffmann (1776-1822) aus der Wiege gehoben. Sein Roman „Die Elixiere des Teufels“ entstand, nachdem Hoffmann in einem Bamberger Kapuzinerkloster sich vom Leben der Ordensbrüder und von der klösterlichen Atmosphäre hatte beeindrucken und beeinflussen lassen. Das Werk lässt sich in die Schwarze Romantik einordnen. Der aktuell wohl beste Schweizer Schriftsteller, Thomas Hürlimann, fühlt sich in manchem E.T.A. Hoffmann, seinem grossen Vorbild, verbunden.

Auch Thomas Hürlimann war Zögling in einem Kloster, im Kloster Engelberg, und liess sich von dessen Charakteren und von dessen Atmosphäre derart beeinflussen, dass er sich nun im reifen Alter an das Genre des Kloster-Romans herangewagt hat. Herausgekommen ist eine wunderbar stimmige Geschichte mit einem historischen Hintergrund. Die Roman-Story setzt ein in den 1960er Jahren. Der elfjährige Arthur Goldau wird von seiner Mutter in einem Kloster-Internat zwecks Ausbildung und Erziehung abgegeben. Im Kloster scheint die Zeit stillzustehen. Die Fratres führen ein strenges Regiment. Gelernt wird, was auch schon Generationen zuvor gelernt haben.

Einzige Abwechslung im Kloster-Alltag versprechen die regelmässigen Besuche der Ex-Kaiserin Zita. Gemunkelt wird, dass sich ein sagenumwobener Diamant, herstammend aus der Habsburger Krone, im Kloster befinden solle. Die jungen Menschen im Kloster-Internat sehnen sich jedoch nach einem gesellschaftlichen Umbruch. Doch plötzlich steht die ganze Welt Kopf, vor allem die kirchliche und religiöse Welt gerät ins Wanken.

Der Aufbruch der Jugend Ende der 1960er Jahre geht nicht spurlos am Klosterleben vorbei. Schon als die Mutter ihren Zögling Arthur im Kloster-Internat abliefert, sagt sie zu ihm: „Pass dich an, dann überlebst du.“ Die Zöglinge im Kloster haben jedoch alles andere im Kopf als Anpassung an ein Leben zwischen Klostermauern. Arthur und seine Freunde machen sich auf die Suche nach dem roten Diamanten, die Spuren führen bis in die Katakomben des Klosters und auch tief in dessen Geschichte.

Plötzlich bricht die heile Kloster-Welt zusammen. Durch die Gänge des altehrwürdigen Klosters weht ein frischer Wind, Rose, ein Mädchen aus dem Dorf zeigt dem Zögling Arthur, wie das mit der Liebe geht, und durch die jahrhundertealten Gewölbe erschallen die Songs von Bob Dylan, allen voran „The Times They Are Changing“. Eine neue Zeit bricht an.

Thomas Hürlimann überreicht mir sein neustes Buch „Der rote Diamant“ und erzählt, dass er beim Schreiben auch auf eigene Erfahrungen habe zurückgreifen können. (Copyright Foto: Kurt Schnidrig)

Autobiographisch sei das Buch zwar nicht, er könne aber auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, die er als Zögling in der Klosterschule Einsiedeln habe machen können, sagt Thomas Hürlimann auf meine Frage nach den Quellen. Schon nach wenigen Seiten wird offensichtlich, dass es sich beim geschilderten Kloster-Internat um das Kloster Einsiedeln handelt. Als Zögling hatte Thomas Hürlimann die Klosterschule besucht, hatte daselbst auch den Zusammenbruch der kirchlichen und religiösen Fassade miterlebt. Folgerichtig war denn der Autor auch ein begeisterter Anhänger und Mitläufer der 1960er Bewegung.

Thomas Hürlimann war bereits zu seiner Zeit als Kloster-Schüler nicht entgangen, dass sich die Welt ausserhalb der Kloster-Mauern ständig verändert, so wie die Röcke der Mädchen kürzer und die Haare der Männer länger wurden. Statt der Bibel lasen die Klosterschüler lieber angesagte Revolutions-Autor*innen wie Marcuse, Camus oder Sartre. Zwei Welten prallten aufeinander, die Welt der Esoterik und die Welt der historische Fakten.

Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig