Schriftsteller Peter Stamm über die überraschenden Folgen einer frühen Liebe

Peter Stamm bei einer Lesung in Leukerbad. (Bild: Kurt Schnidrig)

„I know not what tomorrow will bring“ – Was bringt uns das Morgen? Womit konfrontiert uns die nahe Zukunft? Dieses Zitat von Fernando Pessoa stellt Peter Stamm seinem neuen Roman „In einer dunkelblauen Stunde“ voran. (S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2023, 256 Seiten). Der Protagonist heisst Richard Wechsler und lebt in Paris. In der Stadt der Liebe wartet die Dokumentar-Filmerin Andrea mit ihrem Team auf den Schriftsteller Richard Wechsler. Erste Aufnahmen verlaufen jedoch derart enttäuschend, dass das Film-Team den Abbruch der Dreharbeiten in Erwägung zieht. Zu wenig ist der Schriftsteller Wechsler gewillt, von sich preiszugeben.

Recherche-Arbeiten, welche die Filmerin Andrea anstellt, um den geplanten Dokumentarfilm über Schriftsteller Wechsler dennoch realisieren zu können, verlaufen im Sande. Zwar durchstreift Andrea die Strassen und Gassen der Stadt und begibt sich auf die Spuren des Schriftstellers. Das Material reicht jedoch zur Produktion eines Dokumentarfilms nirgends hin.

„Ich bin wie ein Wanderer, der durch die Landschaft geht, ohne Kompass und ohne Karte. Geplante Reisen sind langweilig. Manchmal gestaltet sich eine ungeplante Reise als schwierig, dann muss man umkehren. Aber es ist diese Unberechenbarkeit der Welt, welche eine Wanderung erst spannend werden lässt.“

Schriftsteller Peter Stamm im Gespräch mit Kurt Schnidrig

Könnte das autofiktionale Schreiben das nötige Film-Material liefern? Lässt sich vielleicht aus Richard Wechslers Büchern stimmiges Material für den geplanten Film herausfiltern? Die These steht im Raum, dass Schreibende grundsätzlich auch immer etwas von sich selbst preisgeben, ob sie das nun beabsichtigen oder nicht. Und so vertieft sich Andrea, die Doku-Filmerin, in die Bücher des Schriftstellers Peter Wechsler. Dabei stösst sie auf eine vielversprechende Story.

Eine Jugendliebe, eine frühe Affäre des Schriftstellers Peter Wechsler, soll das Film-Projekt befeuern. Die Filmerin vertieft sich in Wechslers Bücher und rekonstruiert daraus die Geschichte einer frühen Liebe. Sie heisst Judith und sie war die Jugendliebe des Schriftstellers, eine Affäre, die ihn ein Leben lang nicht zur Ruhe kommen liess.

„Meistens ist die erste Liebe nicht die Gelungenste, sondern die Misslungenste. Aber alle ersten Male sind etwas Besonderes.“

Schriftsteller Peter Stamm im Gespräch mit Kurt Schnidrig

Ein Liebesroman – oder was wir für gewöhnlich darunter verstehen – ist Peter Stamms Roman „In einer dunkelblauen Stunde“ jedoch nicht. Judith, die frühe Affäre, ist Pfarrerin, verheiratet, und sie ist die Mutter zweier Kinder. Doch ein Happy End im Stile Hollywoods mag uns Peter Stamm in seinem neuen Roman nicht bescheren. Wer als Leserin oder als Leser nun erwartet hätte, dass die Romanze zwischen dem Schriftsteller Peter Wechsler und seiner Jugendliebe Judith ein glückliches Ende findet, wird enttäuscht.

Eine neue Geschichte beginnt, als sich Filmerin Andrea und Pfarrerin Judith anfreunden. Als dann noch Schriftsteller Peter Wechsler stirbt, beginnt sich das Beziehungs-Karussell von neuem an zu drehen.

„Meinen Figuren geht es am Schluss meiner Bücher immer besser als am Anfang. Ich könnte nicht eine Geschichte schreiben, die schlecht endet. Das heisst aber nicht, dass es ein Happy End braucht.“

Peter Stamm im Gespräch mit Kurt Schnidrig

Psychologisch tiefgründig eröffnet der Roman „In einer dunkelblauen Stunde“ neue Ideen und Möglichkeiten, die sich schlussendlich jedoch kaum umsetzen lassen. Der Roman wirkt aber vielleicht gerade deswegen lebensecht und frei von irgendwelchen romantisierenden Erzählmustern. Statt künstlich Spannung zu erzeugen, setzt Schriftsteller Peter Stamm auf seine lockere und teils auch humorige Erzählkunst.

Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig