Wie viel Mut braucht ein Autor?

Am vergangenen heissen letzten Juni-Wochenende traf ich in Leukerbad den türkischen Bestseller-Autor Murathan Mungan (Bild). So heiss wie die Sonne vom Himmel brannte, so heiss sind auch die Themen, die Mungan in seinen Büchern verarbeitet. Er ist der grosse Hoffnungsträger der aufgeschlossenen jungen und liberalen Leserschaft in der Türkei. Murathan Mungan öffnet der wilden und ausschweifenden westlichen Popkultur im Land am Bosporus schreibend ein Türchen. Wer den Mut aufbringt, die östlichen Mythen mit der freizügigen westlichen Kultur zu mischen, der zeigt in einer Stadt wie Istanbul viel Mut.

Wie leben türkische Frauen? Leben Sie noch wie dereinst Sheherezade in den Märchen von Tausendundeiner Nacht? Oder leben sie wie die Frauen bei uns im Westen? Leben sie noch im mythischen Orient oder bereits in der Moderne? Murathan Mungan gibt eine Antwort. Türkische Frauen sind in seinen Werken frei von scheinbar typischen Konflikten, die wir westlich orientierten Leser dem Leben einer türkischen Frau anzudichten pflegen. Murathan Mungans Schreiben liesse sich als ein hybrides Schreiben bezeichnen. Die verschlossene und patriarchalische Welt des Islam mischt er auf mit westlichen Vorstellungen und Werten.

Städte aus Frauen. So heisst Murathan Mungans Erzählband, der um die Welt ging. Er versammelt in diesem Buch sechzehn Geschichten. Als Leser dürfen wir sechzehn Frauen ein Stück ihres Weges begleiten. Jede dieser sechzehn Frauen ist einzigartig und aussergewöhnlich. Es sind dies Frauen, die lieben, die ihren Partner verlassen oder von ihm verlassen werden. Die Frauen in Mungans Geschichten sind keine glücklichen Frauen. Es sind aber Frauen, die um etwas Glück kämpfen. Die Frauen müssen einschneidende Entscheidungen fällen. Es sind Entscheidungen, die hart und schmerzvoll sind. Viele müssen sich mit den Gespenstern der Vergangenheit auseinandersetzen.

Frauengeschichten. Im Erzählband „Städte aus Frauen“ begegnen wir aussergewöhnlichen Frauengeschichten. Da ist zum Beispiel das Mädchen Nurhayat. Kurz vor ihrer Verlobung macht sie die Erfahrung, dass das Leben noch so viel für sie bereit hält. Und dass eine Hochzeit für eine Frau wie sie nicht das einzig Wünschbare und Erstrebenswerte ist. Oder da erzählt uns Mungan die Geschichte der älteren Frau Esme. Sie ist geschieden, hat eine Tochter und ist in ihrem Beruf erfolgreich. Eigentlich wäre sie glücklich, wenn da nicht diese Einsamkeit an den Wochenenden wäre. Die Entscheidung zum Alleinsein, zum alleine durch die Welt Gehen, die muss immer von neuem getroffen werden. Auch wenn dabei die Gefühle verrückt spielen. Türkische Frauen sind wie Frauen bei uns. Viele von unseren Vorurteilen erweisen sich beim Lesen von „Städte aus Frauen“ als konstruiert und abstrus. Frauen in Istanbul wünschen sich das Gleiche wie Frauen bei uns.

Und die Männer? Murathan Mungan bringt den Mut auf, gegen die Diskriminierung der Homosexuellen in der Türkei schreibend anzukämpfen. In einem Land wie der Türkei sei „schwul zu sein eine Lebensweise“, verkündet er. Furchtlos nimmt er dabei auch ein eigenes „Outing“ vor. Murat Mungan schlägt schreibend kritische Töne an. Die kritischen Töne widersprechen der gegenwärtigen Situation in der Türkei, wie sie oberflächliche Medien gerne zu vermitteln pflegen.

Text und Foto: Kurt Schnidrig