Im Gespräch mit Felicitas Hoppe

In Deutschland ist sie die „fantastische Fabuliererin“: Felicitas Hoppe. Sie ist Trägerin des renommierten Büchner Literaturpreises. Und sie ist auch Spycherpreisträgerin. Ich durfte mich im Rahmen des Bergbuch-Festivals mit ihr unterhalten. Literarisch widmet sich Felicitas Hoppe momentan einer berühmten Walliser Frauengestalt. Es handelt sich um Ella Mayart (1903-1997), die in Chandolin, im Val d’Anniviers, lebte. Ella Mayart gilt als die bedeutendste Reiseschriftstellerin der Schweiz. Eine grosse Expedition unternahm Ella Mayart nach Nepal. Das Ziel dieser Expedition war, die Sherpas mit den Wallisern zu vergleichen. Trotz offiziellem Verbot wanderte sie als erste Westlerin durch Nepal. Ella Mayart – im Land der Sherpas. So heisst das spannend geschriebene Buch, zu dem Felicitas Hoppe ein Nachwort verfasst hat. Nachfolgend ein Auszug aus dem Gespräch, das ich mit Felicitas Hoppe führen dufte.

Kurt Schnidrig: Frau Hoppe, was haben Sie über die ganz besondere Art des Reisens herausgefunden? Wie pflegte Ella Mayart zu reisen?

Felicitas Hoppe: Für Ella Mayart war das Reisen wirklich ein „In-Kontakt-Treten“ mit der Welt. Reisen war für sie nicht einfach ein Freizeitvergnügen. Reisen war für sie auch nicht eine Befriedigung, etwas Exotisches zu erleben. Ella Mayart war auf der Suche „nach der Wahrheit hinter den Dingen“. Dafür hat sie einen kompletten Einsatz geleistet. Sie ist zu den Leuten hingegangen, sie hat gelebt wie sie. Also das Reisen war für sie kein Vergnügen, sondern eine Suche nach der Wahrheit.

K.S.: Ella Mayart zog interessante Vergleiche zwischen den nepalesischen Sherpas und den Walliser Bergbauern. Was hat Mayart herausgefunden?

F.H.: Mayart sieht Ähnlichkeiten zwischen den Sherpas und den Walliser Bergbauern. Dabei müssen wir aber berücksichtigen, dass Ella Mayart in den 50er-Jahren gereist ist. Die Verhältnisse damals unterscheiden sich stark von heutigen Gegebenheiten. Sie sieht aber eine starke Verwandtschaft in der Härte des Lebens, in der Art und Weise mit der Bergwelt klarzukommen. Sie sieht aber auch kulturelle Gemeinsamkeiten. Bergbewohner auf der ganzen Welt haben ähnliche Bräuche, und sie gehen ähnlich um mit der Natur. Bergbewohner haben aber auch alle die ähnlichen Rituale. Beispielsweise haben die nepalesischen Masken eine frappante Ähnlichkeit mit den Lötschentaler Masken. Bei solchen Vergleichen gerät man schon ins Staunen.

K.S.: Frau Hoppe, Sie haben sich einen Namen geschaffen als Künstlerin des Fabulierens. Ella Mayart dagegen hat als Reiseschriftstellerin ganz anders geschrieben, eher spröde und präzise. Wie gehen Sie damit um? Vermissen Sie da was?

F.H.: Nein, ich vermisse da überhaupt nichts. Ich finde, dass die Dinge da alle ihren Platz haben, und ich muss sagen: Manchmal bin ich auf Ella Mayart fast neidisch. Als ich ihre Reiseberichte las, da musste ich mir eingestehen: Mein Gott, was betreibe ich da für einen Aufwand mit der Einbettung in Fantasie und Fiktion! Ella dagegen beweist, dass die Fantasie immer aus dem wirklichen Leben kommt. Mit Hilfe der Fantasie versucht man ja oft mit den Schwierigkeiten des Lebens klar zu kommen. Das lässt sich beispielsweise in den Walliser Sagen super nachlesen. Mich beeindruckt die Schlichtheit von Ellas Sprache und von Ellas Beobachtung. Ich vermisse gar nichts. Es tut gut zu sehen, dass alle die Welt mit anderen, mit eigenen Augen sehen.

K.S. Ella Mayart war eine Frau, die ganz alleine die Welt bereist hat. Entspricht das Frauenbild von damals noch dem Frauenbild von heute?

F.H.: Ich denke, dass damals die Frauen mit erschwerten Bedingungen zu kämpfen hatten. Heute ist es wohl einfacher, als Frau alleine zu reisen, wobei es auch heute immer noch bestimmte Gegenden gibt, wo es für eine Frau höchst beschwerlich ist, alleine zu reisen. Ich selber hatte 1997 die Welt auf einem Container-Schiff umrundet. Da war ich auch alleine. Natürlich war ich mit der Schiffsmannschaft zusammen, aber schon damals wurde ich mir bewusst: Als Frau alleine zu reisen, ist etwas ganz anderes, als wenn ein Mann alleine reist. Was aber Ella Mayart als Reiseschriftstellerin geschafft hat, das ist bewunderungswürdig. Dass sie als Frau überall durchkam, das hatte wohl mit ihrer guten Konstitution zu tun, aber auch mit ihrem Einfühlungsvermögen. Dazu kommt: Ella Mayart hat nie Grenzen überschritten. Sie hat sich immer an die kulturellen Regeln der Länder gehalten, die sie bereist hat.

Text und Foto: Kurt Schnidrig