„Sommertime-Kulturabend“ in Grächen

Sie begeisterten das Publikum in Grächen: Jolanda Brigger Ruppen (Lyrikerin), Manuel Pollinger (Bass), Loredana Catalano (Sopran) und Stefan Ruppen (Akkordeon).
Foto: Kurt Schnidrig.

Sommerlich-beschwingte Gefühle verbreiteten Oberwalliser Künstler am „Sommertime-Kulturabend“ in Grächen. Mit Kompositionen aus Text und Musik eroberten sie die Herzen des Publikums. Eine Sommernacht zum Verlieben war’s und bereits bei den ersten Klängen und Tönen von Gershwins „Summertime“ fühlte ich den Geschichtenwind, wie ihn etwa der Dichter Nikos Kazantzakis beschreibt: „Ein warmer feuchter Wind kam aus dem Geschichtenland, fuhr über das Meer, setzte über alle Mauern und überfiel durch Türspalten und Fensterritzen die Menschen wie ein nächtlicher Einbrecher…“ Nun, Kazantzakis stand zwar nicht auf dem Konzertprogramm, dafür aber die ironisch-nostalgische Musik von Kurt Weill, dazu wunderbar romantisch stimmende Operettenmelodien und schliesslich canzoni passend zu den notti magiche eines italienischen Sommers.

Jolanda Brigger Ruppen sorgte mit eigenen Texten für den „Geschichtenwind“.
(Foto: Kurt Schnidrig)

Klassisch oder populär? An einem Summertime-Kulturabend ist wohl eher die leichte Muse zu Gast, wenn es aber gelingt, trotz aller Leichtigkeit und trotz aller Beschwingtheit das sommerlich-duftende Konzertprogramm mit bedenkenswerten Texten anzureichern, dann schwingt so ein Sommerabend noch lange in den Köpfen und Herzen der Besucher nach. Die vertiefenden Texte der Lyrikerin und Autorin Jolanda Brigger Ruppen sorgten – gewollt oder ungewollt – für eine Doppelbödigkeit, die manchmal zu einem Lächeln verführte, manchmal aber auch dafür sorgte, dass das Lachen im Halse stecken blieb. Texte, überschrieben mit „Die Frau und der Mann“ oder „Anna und Otto“, werfen die Frage auf: Wie lässt sich auch nach langen Jahren des Zusammenlebens noch miteinander kommunizieren? Sich wortlos verstehen, nichts sagen zu müssen, geht das überhaupt? Nach dem Vortrag des Textes „Anna und Otto“ steht der Zuhörer zusammen mit einer rhetorischen Frage ganz schön allein im Schilf. Die Autorin über das exemplarische Paar Anna und Otto: „Nur durch das Sagen eines bestimmten Wortes verstehen sie einander wirklich und werden eins…“ Und während man(n) gedankenversunken nach diesem bestimmten Wort sucht, tönt’s im Duett „Bess, you is my woman now“ aus der Oper Porgy and Bess. Nein, Gershwin suchte kaum je nach Worten, schon gar nicht nach einem ganz bestimmten Wort, er nahm es auch gerne mal populär und ohne die klassisch-philosophische Schwere.

Manuel Pollinger und Loredana Catalano im Duett. Harmonische Musik von Gershwin bis hin zur Operetten-Romantik. (Foto: Kurt Schnidrig)

Je ne t’aime pas. Die Sopranistin Loredana Catalano setzte mit diesem Lied zu einem Steilpass an für die Lyrikerin. Diese versprachlicht, was die Sopranistin melodiös vorgibt: „Nanu!, ich liebe dich nicht!“ Nun ja, es ist schon mutig, in einer liebreizenden Sommernacht auch den Schmerz, die schwarze Nacht, das leise Seufzen des liebeskranken und verbitterten abgewiesenen Liebhabers zu thematisieren. Doch halt! Ist die Liebe nicht ein seltsames Spiel, das immer gut für Überraschungen ist? Bei Jolanda Brigger Ruppen hört sich das sinngemäss etwa so an: „Unsere Blicke begegnen sich nicht mehr, wir gehen nicht mehr eng umschlungen, wir berühren uns nicht mehr, und was einmal gross war, das ist nun klein geworden. Ich liebe dich nicht. Nimm meine Hand weg. Nimm meine Hand. Nimm meine. Nimm. Ich liebe dich.“

„Meine Lippen sie küssen so süss…“ Loredana Catalano in der Welt der Operette.
(Foto: Kurt Schnidrig)

Meine Lippen sie küssen so süss. „Bei Männern“, „Irgendwo auf der Welt“: Sie entfacht verlorengeglaubte Männerträume, sie, die Welt der Operette. Nur schon die Titel der Operettenlieder sorgen für amourösen Aufruhr und Liebesstürme in Männer- und Frauenherzen. Und dies auch heute noch. Glücklicherweise, ist man versucht auszurufen. Zum Glück sind liebestolle „Überraschungen“ auch heute noch möglich, besonders auch an vielversprechenden Sommerabenden wie an diesem. Beim Text „Überraschung“ der Lyrikerin Jolanda Brigger Ruppen allerdings schwingt auch so etwas wie (gespielte?) Entrüstung mit. Auf jeden Fall ist trotz des moralisierenden Grundtons auch ein befreiendes Lachen zumindest nicht unmöglich. Der Text lautet sinngemäss etwa so: „Blick ins Schlafzimmer: Immer haben wir uns geliebt, immer waren wir uns treu, immer sind wir uns lieb gewesen. Und nun? Nun – das!“

Trotz des moralisierenden Grundtons ist ein befreiendes Lachen zumindest nicht unmöglich. Die Lyrikerin Jolanda Brigger Ruppen gibt ihren Texten eine zweite Ebene.

Er kann, sie weiss. Er weiss, dass sie das auch kann. Sie weiss, dass er das auch kann. Mit dem Frausein von Mann zu Mann beschäftigt sich Jolanda Brigger Ruppen in ihren Texten. Sie tut dies spielerisch und trotzdem auch philosophisch. Auf den Bassisten Manuel Pollinger bezogen, lässt Jolanda Brigger Ruppens Text allerdings kaum Spielraum offen. Der kann. Und zwar singen. Und wie der singen kann! Bei seinem wundervollen Liedvortrag „Irgendwo auf der Welt“ trieb er manchem Sensibelchen und manch einem Romantiker eine Träne in die Augen: Irgendwo auf der Welt / Gibt’s ein kleines bisschen Glück, / Und ich träum‘ davon in jedem Augenblick. / Irgendwo auf der Welt / Gibt’s ein bisschen Seligkeit, / Und ich träum‘ davon schon lange, lange Zeit. / Wenn ich wüsst‘, wo das ist, ging‘ ich in die Welt hinein, / Denn ich möcht‘ einmal recht, / So von Herzen glücklich sein. / Irgendwo auf der Welt / Fängt mein Weg zum Himmel an; / Irgendwo, irgendwie, irgendwann.

„Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück…“ Manuel Pollinger berührte das Publikum mit einem Lied der Comedian Harmonists. (Foto: Kurt Schnidrig)

Was alles in der Liebe steckt. Angesagtes Thema an einem Summertime-Kulturabend ist selbstredend die Liebe mit all ihren Facetten. Was alles steckt in der Liebe? Was die Lyrikerin so alles zusammengetragen hat, lässt sich stichwortartig zusammenfassen. In der Liebe steckt: Ein Blick, ein Hauch, ein Duft, ein Paar, ein Rausch, eine Glut, ein Feuer, ein Brand, die Lust, aber auch: ein aufeinander Bauen und aufeinander Vertrauen. All das war auch zu hören, und zwar in den canzoni, passend zu den notti magiche eines italienischen Sommers. Und so fand denn der sommerliche Grächner Kulturabend folgerichtig seinen Abschluss mit dem Lied „Volare“, bekannt geworden durch die Gipsy Kings und neu interpretiert nun von Catalano / Pollinger.

Mit canzoni italiene überreichten Loredana Catalano und Manuel Pollinger ihrem Publikum das Schlussbouquet. Dann entflogen sie mit dem Lied „Volare“ durch die Balkontür.
(Foto: Kurt Schnidrig)

Sommerlich gestimmt und beschwingt trat ein begeistertes Publikum den Heimweg an. Passend zur Hochstimmung der Gefühle legte sich der Mond dank partieller Mondfinsternis ein purpurrotes Mäntelchen um.

Warmer und herzlicher Applaus! Ihr habt uns berührt und bewegt. Habt Dank dafür.
(Foto: Kurt Schnidrig)

Text und Fotos: Kurt Schnidrig