Sommerzeit, Ferienzeit. Es ist auch eine gute Zeit, um sich zu trennen. Von einer bedrückenden Lebenssituation, von einer belastenden Partnerschaft oder von beengenden Projekten. Manchmal ist es besser, sich zu trennen. Und ja, wir wollen Freunde bleiben. Dann fällt die Trennung leichter. Die Amerikaner kennen die „friendly divorce“, die Trennung in Freundschaft. Sich trennen, sich die Freiheit zurück geben, und dann weg, weg über alle Berge!
„Wenn wir uns trennen, bleiben wir uns“. Dieses Zitat stellt Peter Stamm seinem neuen Roman „Weit über das Land“ voran. In einer Sommernacht steht ein Mann auf und geht. Jeder kennt ihn: den Wunsch zu fliehen, den Gedanken, das alte Leben abzulegen, ein anderer sein zu können, vielleicht man selbst. „Wenn wir uns trennen, bleiben wir uns“ – das Zitat hat Peter Stamm entlehnt. Das Zitat stammt aus „Zündels Abgang“, dem Debüt-Roman des Schweizer Schriftstellers Markus Werner, der sozusagen Pate stand für Peter Stamm.
„Zündels Abgang“ ist eine faszinierende Geschichte von einem, der seinen eigenen Weg ging, der eines Tages einfach fort war, weg, über alle Berge. Konrad Zündel war ein Schweizer Lehrer. Er gerät in eine belastende Lebenssituation, die ihn verzweifeln lässt. Was bleibt zu sagen, wenn man sich inmitten von „Bemäntelungsexperten, Entlastungstechnikern und Rechtfertigungsspezialisten“ befindet? Ein wichtiges Lebensziel entschwindet und damit auch der Lebensinhalt. Seine Partnerschaft bricht entzwei.
Konrad Zündel wird zum Aussteiger wider Willen. Er nimmt den Zug nach Genua, wo er vier Wochen allein, schreibend und trinkend, verbringt. Banalitäten bringen Zündel zum Erliegen. Es ist die Wut auf das Menschenfeindliche der modernen Gesellschaft. Menschenfeindlich meint das unbedingte Pflichtbewusstsein, die Anpassung an die bestehenden Verhältnisse, die erzieherische Verachtung alles Weichen und Traurigen.
In der Abschiedsrede vor seiner Klasse entflammt Lehrer Zündel an der Idee, sich nicht mit der Wirklichkeit zu arrangieren. Er möchte seine Träume leben, seine Visionen von einer besseren Welt. Er verschliesst sich, zuerst gegenüber seiner Frau, dann seinem Beruf. Er verschliesst sich auch gegenüber der Psychiatrie. Bis er verschwindet. Er verschwindet wortlos, sprachlos. Eines guten Tages ist er über alle Berge.
Konrad Zündel ist ein mühseliger, geknickter Querulant, und als solcher wird er zur Vorlage für viele spätere Aussteiger in der Schweizer Literatur. Der Romanschriftsteller Markus Werner zeichnet Zündels Abgang auch sprachlich nach. Interviewartige Dialogformen wechseln sich mit grammatikalisch inkorrekten Satzfetzen ab.
„Zündels Abgang“ ist eine kompromisslose Geschichte. Da steigt einer aus mit aller Konsequenz und in aller Härte. Und der Leser hat gefälligst mit auszusteigen. Wenn es nicht mehr geht, dann gibt es nur eins: Strich darunter! Und: Ab über alle Berge.
Literatur: Zündels Abgang. Roman. Fischer Taschenbuch. 120 Seiten.
Zum Bild: Über alle Berge. Eine Metapher für alle Aussteiger. Foto: Kurt Schnidrig.