Toujours l’amour?

Frankreich ist Ehrengast an der Frankfurter Buchmesse, die nächste Woche beginnt.  Wenn sich die sonst eher kühlen und ordnungsliebenden Veranstalter damit bloss nicht übernommen haben! Denn in literarischer Hinsicht ist Frankreich nicht ein Land, sondern ein Kontinent. Die Vielfalt der französischen Literatur ist riesig. Die Texte sind so vielfältig, wie die Liebe selbst, die in der littérature française einen besonders wichtigen Stellenwert einnimmt. Dass sich die Französinnen und Franzosen mit der Liebe besser auskennen als Menschen anderer Länder, das ist aber wohl ein Vorurteil. Ein Augenschein vor Ort ergibt allerdings zweifelsfrei, dass die Liebe in Frankreich und insbesondere in Paris, der Stadt der Liebe, stärker zelebriert wird als anderswo.

Wer in den Buchläden, den librairies, im traditionellen Studentenviertel Quartier Latin stöbert, dem fällt auf, wie hochkarätig die französische Literatur ist. Unter Aufsicht der académie française achten die Schriftsteller nicht bloss auf eine perfekte Sprachgebung, sondern auch auf eine hochstehende Literatur-Produktion. Am Montmartre, dem ehemaligen Künstlerviertel auf der höchsten Erhebung der Stadt, finden sich denn auch literarische Kunstwerke, darunter besonders viele Liebesgeschichten. Die Paris-Besucher lassen sich dann oft eine anspruchsvolle Show im Moulin Rouge mit echtem Can-Can nicht entgehen.

L’amour toujours – toujours l’amour? Dieser typisch französischen Fragestellung ist die deutsche Literaturwissenschaftlerin Annette Wassermann nachgegangen. Und sie ist fündig geworden. In einem schönen Sammelband hat sie Liebesgeschichten zusammengestellt und herausgegeben. Alle Erzählungen stammen von jungen Autorinnen und Autoren. Die Texte sind so vielfältig wie die Liebe selbst. Die Texte zeigen, dass die Liebe viele Facetten hat, wundervolle, romantische, aber auch tragische und leidvolle.

Was aber lässt sich über das Thema Liebe eigentlich noch schreiben? Moderne französische Schriftsteller brechen Tabus und riskieren nicht selten auch einen Bruch mit der herrschenden Norm. Das Infragestellen gesellschaftlicher und ästhetischer Normen ist ein zentrales Merkmal der modernen französischen Literatur. Viele Schriftsteller sind wohl auch gezwungen, Radikaleres zu schaffen, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Ein Bespiel ist Caroline Bongrand.

Das, was sie Liebe nennen. So heisst der aktuelle Beststeller von Caroline Bongrand. Es ist eine Geschichte, wie sie sich in Paris, in der Stadt der Liebe, täglich ereignen kann. Eine Frau mittleren Alters, Mutter und desillusionierte Ehefrau, lernt bei der Arbeit einen ebenfalls verheirateten Mann kennen. Die berühmte Liebe auf den ersten Blick ereilt die beiden. Noch nie – so glauben die beiden – haben sie so intensive Gefühle erlebt. Der Roman geht nun der alles entscheidenden Frage nach: Wie lässt sich der Zauber des Augenblicks ins Leben einfügen – und dies ohne, dass er Bewährtes zerstören könnte? Die namenlose Protagonistin, die sich schon fast mit ihrem allmählichen Verblühen abgefunden hätte, lebt ihren vermeintlichen Neuanfang mit einer Energie, die sie selber zu vernichten droht.

Alors, toujours l’amour? Non, pas du tout. Je vous souhaite un merveilleux périple littéraire. Vive la lecture! Vive la France!

Text und Foto: Kurt Schnidrig

Literatur: Annette Wassermann (Hg.): L’amour toujours – toujours l’amour? Junge französische Liebesgeschichten. Verlag Wagenbach, 2017. Und: Caroline Bongrand: Das, was sie Liebe nennen. Roman im Heyne Verlag, 2017.