Wenn sich in unserem Leben Morgenröte ankündigt, dann ist das ein gutes Zeichen. Es geht dann auf jeden Fall aufwärts mit uns und mit unseren Projekten. Zur Zeit leuchtet unser Herbsthimmel in rötlichen Farben. Als Morgenröte oder Morgenrot bezeichnet die Wissenschaft die rötliche Färbung des Osthimmels, die etwa 45 Minuten vor dem Sonnenaufgang eintritt. Eine Wetter-Regel sagt: Morgenrot, schlecht Wetter droht. Ganz anders in der Literatur, hier steht das Morgenrot für die Erfüllung der schönsten Träume.
„Erstes Morgenrot bringt mir die schönsten Träume, aus dem fernen Land, wo meine Wiege stand“, sang Ende der 60er-Jahre die Poetin und Sängerin Alexandra, bürgerlich Doris Nefedov, die schon früh mit 27 Jahren einen rätselhaften Unfalltod starb. In ihrem poetischen Lied mit dem Titel „Erstes Morgenrot“ beschreibt sie die Herbststimmung in Wäldern und auf Seen im Memelland, ihrem Heimatland, das heute zu Litauen gehört. Sie war nach Hamburg gezogen um in die Modebranche einzusteigen und bei den Miss Germany-Wahlen zu reüssieren. Diese Träume liessen sich jedoch nicht realisieren, und so sehnte sie sich zurück nach ihrer alten Heimat. Schon beim ersten Morgenrot sehnte sie sich nach dem fernen Land, wo ihre Wiege stand.
In der Wetterkunde verspricht das Morgenrot jedoch nichts Gutes. Zumindest nicht für uns Europäer. Das Wetter in Mitteleuropa wird nämlich hauptsächlich durch den Westwind bestimmt. Für die Bildung einer Morgenröte müssen von der Wetterlage her zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Der Himmel im Osten muss klar sein, im Westen dagegen ziehen bereits Wolken auf, die vom Westwind herbei geweht werden. Die Wetterkunde lehrt uns also, dass bei Morgenrot schlechtes Wetter droht.
Morgenröte in der Literatur verspricht dagegen nur Positives, nämlich die Erfüllung unserer Sehnsüchte, Wünsche und Träume. Ein Dauerbrenner in der modernen Literaturgeschichte ist der Roman „Dauerhaftes Morgenrot“ des Schriftstellers Joseph Zoderer (Haymon Verlag, 2. Auflage). Der Roman „Dauerhaftes Morgenrot“ erzählt davon, dass Liebe nur möglich ist, wenn das Wünschen nie aufhört. Wenn eine Liebe dauerhaft sein soll, dann muss der Zauber des Anfangs (des ersten Morgenrots!) bestehen bleiben. Die Schmetterlinge im Bauch dürfen niemals zu flattern aufhören. So beschwört der Roman „Dauerhaftes Morgenrot“ die immerwährende Sehnsucht nach der Geliebten und nach dem Geliebtwerden. Lieben, Leben und Wünschen ist das grosse Thema, das Joseph Zoderer in seinem Roman poetisch und eindringlich abhandelt. Damit zählt er zu den herausragenden Stimmen der aktuellen deutschsprachigen Literatur.
In der römischen Mythologie ist Aurora die Göttin der Morgenröte. Die Zeit zwischen Nacht und Tag ist ein mysteriöser Zeitraum, der Grenzen überschreitet und in dem alles möglich erscheint. Die römische Göttin Aurora verkörpert einen Moment der Sinnlichkeit und der Verheissung. Im Christentum ist die Morgenröte (Maria) immer von der Sonne (Jesus) abhängig. Deshalb werden in der kommenden Adventszeit die Roratemessen zu Ehren Marias immer vor oder während des Sonnenaufgangs gefeiert.
Text und Foto: Kurt Schnidrig