Die Woche zwischen Weihnachten und Silvester/Neujahr wird in der Schweiz die Altjahreswoche genannt. Es ist dies auch die Zeit zwischen dem Fest der Liebe, den teils nostalgisch-wehmütigen Rückblicken auf das alte Jahr, dem Zauber der Silvesternacht und der Magie des Neujahrstags. Liebe, Nostalgie, Wehmut, Zauber und Magie sind wichtige Emotionen. Emotionen sind Zustände, in die wir unseren Köper, motiviert durch äussere Umstände, hineinmanövrieren. Die Festtage in der Altjahreswoche können solche äusseren Umstände sein. Sie erzeugen positive Emotionen.
Emotionen wecken in uns Gefühle, diese lösen ein Handlungsprogramm aus: Wir singen vor Glück, wir weinen vor Rührung oder wir spielen am Klavier ein Lied, das zum Gefühl passt (Bild). Emotionen und Gefühle sind die Grundlage der menschlichen Kultur, enthüllt jetzt der Neurowissenschafter Antonio Damasio in seinem aktuellen Bestseller mit dem Titel „Im Anfang war das Gefühl“. Gefühle verursachen in uns nicht selten ein „Problem“, wir sprechen beispielsweise von einer Gefühlsverwirrung, von einem Sturm der Gefühle oder gar von einem Gefühlschaos. Wenn wir an einer Problemlösung für die Verwirrung, den Sturm oder das Chaos der Gefühle arbeiten, dann entstehe Kunst, schreibt Damasio in seinem Buch.
Alle kulturellen Tätigkeiten entstehen im Affekt. Dichtung, Musik, Tanz und Malerei entstehen dann, wenn ein Künstler an der Lösung eines Problems arbeitet, das durch seine Gefühle verursacht worden ist. Damit widerspricht Damasio allen bisherigen Theorien, die besagen, dass unser Gehirn als die organische Grundlage der Kultur gilt. Diese überholte Lehrmeinung vertrat beispielsweise der Soziologe Talcott Parsons. Bisher galt das Gehirn als das wichtigste Organ, das komplexe Handlungen steuert und koordiniert. Mit dieser Lehrmeinung verbunden war eine Geringschätzung der Affekte. Die Gefühlswelt ganz allgemein hatte bisher einen schlechten Ruf, viele waren der Meinung, dass zu viel „Gefühlsduselei“ die Tatsachen und ein vernünftiges Denken verunmögliche.
Auch negative Affekte können literarisches Schaffen auslösen. Ein Beispiel dafür liefert der deutsche Schriftsteller Heinrich Böll. Ohne das Gefühls-Chaos, das der Zweite Weltkrieg in ihm auslöste, ist sein literarisches Schaffen nicht zu verstehen. Vor genau 100 Jahren ist Heinrich Böll geboren worden. Der Krieg hat ihn geprägt, der Krieg hat ihn zum Romancier und zum späteren Literatur-Nobelpreisträger werden lassen. Die Kriegsjahre haben aus ihm einen nachdenklichen und politisch engagierten Schriftsteller gemacht.
Man möchte manchmal wimmern wie ein Kind. Dies der Titel, den Heinrich Bölls Kriegstagebücher tragen. Sie sind soeben zum 100. Geburtstag erschienen. In den Kriegstagebüchern konnte sich die seelische Not und die Abscheu, die Böll aus dem Krieg mit nach Hause brachte, entladen. Soeben herausgekommen ist auch eine neue Böll-Biographie von Jochen Schubert. Darin wird die emotionale Gestimmtheit Bölls thematisiert: Bereits in seiner Kölner Kindheit und Jugend habe er jeglichen Respekt vor der bürgerlichen Ordnung verloren, die Schuld dafür trage die Weltwirtschafts-Krise. Die negativen Gefühle lösten in Böll ein Handlungsprogramm aus, er widersetzte sich jeglicher Ideologien und war bereit, für seine Überzeugungen alles zu riskieren.
Emotionen, Gefühle und Affekte sind die Grundlagen der menschlichen Kultur. Diese neue und revolutionäre These aus dem Buch „Im Anfang war das Gefühl“ des Neurowissenschafters Antonio Damasio lässt sich im Grossen wie im Kleinen belegen, im Positiven wie im Negativen. Emotionen und Gefühle sind in der rechten Hirnhälfte angelegt, die Vernunft und die Logik in der linken Hirnhälfte. In unserer westlichen Kultur wurde die rechte Hirnhälfte über Jahrhunderte vernachlässigt, weil Gefühle besonders bei Männern lange Zeit mit Schwäche gleichgesetzt wurden. Doch nun naht Hilfe seitens der Neurowissenschaften. Werden nun endlich Emotionen, Gefühle und Affekte von ihrem „schlechten Ruf“ befreit?
Text und Foto: Kurt Schnidrig