Diese Woche feiert der Schweizer Bestsellerautor Martin Suter seinen 70. Geburtstag. Aktuell führt er mit dem Roman „Elefant“ und mit dem „Song Book“, das er in Zusammenarbeit mit Stephan Eicher realisiert hat, die Bestenlisten in der Schweiz an. Von der internationalen Literaturkritik wird er vor allem für seinen Roman „Die dunkle Seite des Mondes“ hochgelobt, den er punktgenau aufs neue Jahrtausend hin ablieferte. Damals stellte Martin Suter seinen sensationell guten Roman auch in Brig vor, wo ich mit ihm ein langes und ausführliches Gespräch über sein Schreiben und über „Die dunkle Seite des Mondes“ führen durfte. Sie finden eine gekürzte Abschrift meines Gesprächs mit Martin Suter weiter unten.
Der Durchbruch gelang Martin Suter mit dem Roman „Small World“. Das Grundproblem in diesem Roman ist die Altersdemenz. Zuvor arbeitete der gebürtige Zürcher als Werbetexter und Creative Director. Bekannt wurde er durch seine Kolumnen wie „Business Class“ und „Richtig leben mit Geri Weibel“. Als freischaffender Autor holte er sich seine Inspirationen an seinen Wohnsitzen in Ibiza und Guatemala, bevor es ihn in die Schweiz zurückzog. Martin Suter ist aktuell der Schriftsteller mit den meisten Auflagen in der Schweiz. Viele seiner Romane befassen sich mit dem Thema Persönlichkeitsveränderung. Seine Werke sind eine Mischung aus Thriller und Psycho-Roman.
Martin Suters bester Roman ist bislang „Die dunkle Seite des Mondes“. Der Protagonist in diesem Roman ist der Wirtschaftsanwalt Urs Blank. Er lebt mit seiner langjährigen Freundin Evelyn Vogt zusammen. Alles scheint perfekt. Doch dann trifft er auf einem Zürcher Flohmarkt die exotische Lucille. Die beiden kommen sich näher. Urs Blank geniesst das Leben mit Lucille in vollen Zügen und lässt sich von ihr sogar zu einem meditativen Wochenende überreden. Lucille und ihr Kollegenkreis verführen Urs Blank zu einem Pilz-Trip im Wald. Während des Trips verändert er sich stark. Er hat das Gefühl, er regiere die Welt, und er verwandelt in seiner Vorstellung seine Freunde und Bekannten in Waldpflanzen. Nun läuft ihm alles aus dem Ruder. Er verkracht sich am Arbeitsplatz. Er wird gewalttätig. Er realisiert, dass der Pilz-Trip an den Veränderungen seiner Persönlichkeit schuld ist. Sein Freund und Psychiater rät ihm, den Trip zu wiederholen. Blank muss jedoch erkennen, dass eine Wiederholung des Trips nicht ausreicht. Blank möchte fortan sein Leben im Wald verbringen. Da findet er heraus, dass der Grund für seine Veränderung ein sehr kleiner Pilz ist. Nur wenn es Blank gelingt, das Safrangelbe Samthäubchen zu finden und den Trip korrekt zu wiederholen, wird er sein Gewissen zurückerlangen und seine Gewalttätigkeit ablegen können. Inzwischen ist ihm aber sein Konkurrent Pius Ott auf den Versen, und der hat noch eine Rechnung offen mit Urs Blank…
Persönlich durfte ich mit Martin Suter ein Gespräch führen. Ich habe mit ihm über seinen Roman „Die dunkle Seite des Mondes“ gesprochen. Dabei habe ich einen Literaten entdeckt, der weit mehr vorlegt als lediglich einen gut gebauten Roman über modische Drogen. Das nachfolgende Gespräch gebe ich in einer stark gekürzten Version wieder.
Kurt Schnidrig: Ist „Die dunkle Seite des Mondes“ eine Aufforderung an Wirtschaftsleute, in der Krise zu halluzinogenen Pilzen zu greifen?
Martin Suter: Nein, das ist kein Buch über die Drogenproblematik. Der Pilz-Trip der Hauptfigur erhält lediglich dramaturgische Bedeutung. Der Trip ist ein Mittel zum Zweck, er ist nur ein Vehikel. Es ist ein Buch, das beschreibt, wie Leute sind, die das Gefühl haben, es gebe nur eine einzige Person auf dieser Welt.
K.S.: Ist der in bunten Farben geschilderte Pilz-Trip demnach nur eine schillernde Fiktion?
M.S.: Ein Psilozybin-Trip ist etwas, was im Prinzip funktioniert. Das ist eine Botschaft des Buches und dagegen stemme ich mich auch nicht. Bei einem Trip macht man die Türe auf zu sich selber, und man erfährt Dinge, die man vorher nicht gewusst hat.
K.S.: Der Roman vermittelt die Einsicht, dass die Geschäftswelt und die Welt im Wald gar nicht so verschieden sind…
M.S.: Evelyne, die Lebensgefährtin der Romanhauptfigur, bringt auf den Punkt, was Sache ist. Sie sagt: Das ist Kitsch, Urs. Hör mir auf mit deinen Welten. Du lebst in der gleichen Welt wie zuvor. Mit dem einzigen Unterschied, dass du jetzt eine junge Freundin hast. So wie jeder Spiesser Mitte vierzig, der es sich leisten kann. Ich habe weder ein Buch über Drogen geschrieben, noch eines über einen Generationenkonflikt. Und ich möchte auch kein Trendautor sein.
K.S.: Ihr Roman mündet letztendlich ein in die moralisch-ethische Fragestellung nach dem, was wir gemeinhin als „Gewissen“ bezeichnen. „Etwas“ hindert uns daran, Dinge zu tun, die wir später bereuen. Was genau ist dieses „Etwas“?
M.S.: Mich hat beim Schreiben das Folgende interessiert: Was passiert mit einem etablierten, herkömmlichen, konventionellen, braven Menschen, wenn dieses Bisschen, das ihn daran hindert, jemandem eine Ohrfeige zu hauen, worauf er grosse Lust hat, wegfällt… Durch ein kleines, unscheinbares „Pilzli“ kommt der Hauptfigur plötzlich all das abhanden, was sie bis anhin als Lebensprinzip hochgehalten hat. Es ist ein Buch über die Freiwildbahn im Wald, und es ist auch ein Buch darüber, was wäre, wenn jemand annimmt, es gebe niemanden anders ausser sich selbst.
K.S.: Was ist die abschliessende Botschaft des Romans? Liesse sich Ihr Anliegen beim Schreiben auf den Punkt bringen? Ein persönliches Resümee?
M.S.: Wenn es eine Botschaft gibt, dann ist es diese: Nehmt euch nicht so wichtig! Als Autor bin ich angetan von der Vorstellung, dass ein überzivilisierter Zeitgenosse plötzlich im Naherholungsgebiet verschwindet und zu einem Waldmenschen wird. Im Buch hat der Wald die Bedeutung des Unbewussten, des Unschuldigen. Der Wald ist ein Ort, wo Gut und Böse aufgehoben werden. Und genau das sucht die Figur, die sich schuldig gemacht hat. Urs Blank wurde Teil des Waldes – so ist es auf den letzten Seiten nachzulesen. Und die Geschichte endet mit einer überzeugenden Pointe.
Interview, Text und Foto: Kurt Schnidrig