Damit wir uns nicht falsch verstehen: Obiger Titel bezieht sich nicht auf meine Wenigkeit. Es handelt sich dabei um einen Buchtitel. Die Psychotherapeutin Denise Hürlimann hat zusammen mit ihrer Patientin ein Buch geschrieben mit dem sehr ansprechenden Titel „Ich habe einen Knall – Sie auch?“ Das Buch ist im Verlag wörterseh erschienen, und es geht darin um Fragen, die sich wohl manchem von uns stellen. Besonders jetzt, in diesen neblig-kalten Novembertagen. Das Buch behandelt Fragen wie diese: Was passiert mit einer Liebe, wenn man älter wird? Wie kann man herausfinden, was für ein Mensch man wirklich ist? Und: Wie kann man trotz Novemberblues seinen Mitmenschen mit einem Lächeln begegnen?
Haben Sie noch alle Latten am Zaun? Diese Frage braucht Sie jetzt nicht auf die Palme zu bringen, liebe Leserin, lieber Leser, auch dann nicht, wenn bei Ihnen tatsächlich die eine oder andere Latte am Zaun fehlen sollte. Denn was berühmte und grossartige Künstler, Dichter, Schriftsteller, Komponisten, Philosophen und Denker gemeinsam haben, das ist vor allem die Tatsache, dass sie nicht alle Latten am Zaun hatten. Sie hatten einen Knall, um die Sprachgebung der Psychotherapeutin Denis Hürlimann zu benutzen. Doch bevor ich auf ihr Buch mit dem Titel „Ich habe einen Knall – Sie auch“ zu sprechen komme, habe ich für alle, die glauben einen Knall zu haben, oder denen womöglich die eine oder andere Latte am Zaun fehlt, tröstliche Leidesgenossinnen und Leidesgenossen herausgesucht, die gerade deswegen (wegen dem Knall, wegen der fehlenden Latte am Zaun) die Welt verändert und Grosses geleistet haben.
Von Dante bis Rilke. Dante Alighieri (1262-1331) war schizoid-depressiv; Honore de Balzac (1799-1850) war manisch depressiv; Wilhelm Busch (1832-1908) war depressiv; Charles Dickens (1812-1870) war manisch-depressiv; Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) war manisch-depressiv schizoid; Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898) war schizoaffektiv; Jean-Baptiste Molière (1622-1673) war neurotisch; Francesco Petrarca (1304-1374) litt an Melancholie; Rainer Maria Rilke (1875-1926) war eine schizoide Persönlichkeit; Friedrich von Schiller (1759-1805) war zeitweise depressiv; William Shakespeare (1564-1616) war zeitweise depressiv; Adalbert Stifter (1805-1868) war manisch-depressiv; August Strindberg (1849-1912) war schizoaffektiv; Leo N. Tolstoi (1828-1910) war depressiv-schizoid neurotisch. Die Liste liesse sich beliebig fortsetzen. Sie alle haben Grosses geleistet – trotzdem. Oder vielleicht deswegen?
„Ich habe einen Knall – Sie auch?“ Das Buch von Mirjam Indermaur (Patientin) und Denise Hürlimann (Psychotherapeutin) gibt einerseits einen Einblick in die Welt der Psychotherapie, andererseits liefert das Buch aber auch Strategien zum Überleben in schwierigen Zeiten. In diesem Fall ist es eine Patientin, die zusammen mit ihrer Psychotherapeutin ein Buch geschrieben hat. Was die Beiden vor allem betonen: Viele von uns machen sich das Leben schwer mit Kleinigkeiten, bis dann irgendwann einmal wirklich etwas passiert, das viel gravierender ist als alles, was bisher unser Leben bestimmt hat. Im Buch hält eine Mutter ihrem Sohn einen Vortrag darüber, dass sich eine Geschirrspülmaschine nicht von alleine leert, dass man die Spüle nun mal ausräumen muss. Aber schon Stunden später verschieben sich die Prioritäten radikal: Ihr Mann hat die Diagnose „Krebs“ erhalten.
Weiterleben nach einem „Ereignis“. Wie lässt sich nach einer derartigen Diagnose weiterleben? Es sind Strategien nötig, es braucht Strategien zum Überleben in schwierigen Zeiten. Und es braucht Strategien, um schliesslich auch wieder mit einem Lachen durchs Leben gehen zu können. „Ich habe einen Knall – Sie auch?“ ist ein hervorragendes Buch für all jene, die im Jammer-Modus gefangen sind, die sich immer wieder einmal unwohl fühlen, müde und ausgebrannt. Im Buch finden sich auch ganz brauchbare Geschichten, die exemplarisch zeigen, wie man „trotzdem“ die Freude am Leben erhalten kann.
Buch oder Couch? Viele von uns legen eine eher ablehnende Haltung an den Tag, wenn es um Psychotherapie geht. Wer nur ein klein wenig „ver-rückt“ ist, wer nur ein klein wenig den Novemberblues spürt, der braucht sich nicht gleich auf die Couch des Psychiaters zu legen, der braucht auch nicht stundenlang selbstentblössende Gespräche zu führen und schon gar nicht einen Seelen-Striptease zu vollführen. In diesem Fall genügt es, einfach nur ein Buch zu lesen, das auf höchst spannende und manchmal auch amüsante Art einige Strategien aufzeigt, die uns dabei helfen, besser und gesünder über die Stolpersteine des winterlichen Alltags hinwegzukommen. Oder planen Sie schon mal Ihre Frühlingsferien, es lässt sich bestimmt eine passende Insel finden, auf der Sie statt eines Ratgebers gegen den Winterblues sogar einen Roman voller grosser Gefühle lesen können…
Text und Fotos: Kurt Schnidrig