Paradiesvögel

Der Literaturbetrieb kennt viele Paradiesvögel. Oft handelt es sich dabei um Autorinnen und Autoren, die hinaus in die weite Welt fahren und dort dem Schicksal begegnen. So wie die Bernerin Karin Hofmann. Sie arbeitete 13 Jahre lang als IKRK-Delegierte. Sie stellte sich für zehn Einsätze in 36 Ländern zur Verfügung. Sie war im Irak, im Iran, in Afghanistan, in Liberia oder in der Demokratischen Republik Kongo. Ihre humanitäre Arbeit führte sie in die Hölle. Sie sah in diesen Ländern viel menschliches Leid, Verzweiflung und Trostlosigkeit. Doch das war bloss die eine Realität. Karin Hofmann suchte in der Hölle auch nach einem Stück Himmel. Das Stückchen Himmel, das waren Menschen, die trotz allem den Humor nicht verloren haben: ein Flugzeugpilot in Kongo, der Teemann Abdukudus in Kabul oder der Schlüsselhüter der Grabeskirche in Jerusalem. Überall traf sie Menschen, die ein Stück Himmel in die Hölle zauberten. So heisst denn das Buch von Karin Hofmann „In jeder Hölle ein Stück Himmel“ (Lokwort, Bern 2018).

Paradiesvögel auch in Myanmar. Auch der Zürcher Anthropologe Georg Winterberger war auf der Suche nach Paradiesvögeln. Sein Ansatz: Er gab mehr als zwei Dutzend Einheimischen von Myanmar (Burma) für drei Wochen eine Fotokamera, damit sie ihren Alltag fotografierten. Die Einheimischen bannten ihre Paradiesvögel auf Zelluloid und schrieben jeweils eine Geschichte dazu. Da ist die Geschichte aus dem Leben eines Zeitungsverkäufers in den Strassen Yangons. Oder da ist die Geschichte eines Schreiners oder eines Taxifahrers. Die Fotostorys der Einheimischen sind in einem lesens- und sehenswerten Buch herausgekommen. Das Buch von Georg Winterberger heisst „Myanmar – durch die Linse der Menschen“ (Michael Imhof Verlag).

Ein Paradiesvogel in Nigerias Strassen. Der Junge heisst Dantala. Er stiehlt, um zu essen. Und er raucht Gras. Als politische Unruhen das Land überziehen, muss er fliehen. Er findet sich in einer Moschee wieder, deren Imam sein Mentor wird. Dantala verliert sich im radikalen Islamismus. Doch auch Dantala sucht in der Hölle nach einem Stückchen Himmel. Er versucht, die Komplexität der politischen und religiösen Ereignisse um ihn herum zu begreifen und dem Chaos eine Sprache zu geben. Über den Jungen Dantala schreibt der nigerianische Schriftsteller und Anwalt Elnathan John in seinem ersten Roman „An einem Dienstag geboren“ (Verlag Das Wunderhorn, 2017).

Unsere Welt ist klein geworden. Unser Mitgefühl muss jenen Mitmenschen gelten, für die das Leben zur Hölle geworden ist. Doch versteckt sich in jeder Hölle auch ein Stück vom Himmel. Es lohnt sich, in der Hölle auch noch nach diesem Stück vom Himmel zu suchen.

Text und Foto (Symbolbild aus Afrika): Kurt Schnidrig