Mit Liedern die Welt verändern

Erinnerungen an eine interessante und bewegte Zeit weckte die Band remember kürzlich im Alten Werkhof von Brig. Im Rahmen des Briger Adventskalenders traten sechs Musiker vors Publikum, welche der ersten Oberwalliser Pop-Szene aus den 60er und 70er Jahren entstammen. Alle erlebten sie vor fünfzig Jahren einen persönlichen und gesellschaftlichen Aufbruch. Es war dies die Zeit, als Songwriter ihre Texte in klangvolle Beat-, Pop- und Rockmusik verpackten. Die musikalische Stilrichtung aus den 60er Jahren prägten die Beatles, die Procol Harum, die Rolling Stones, die Byrds, die Hollies, Simon & Garfunkel, die Monkees, die CCR, und Bob Dylan.

Die Band remember, das sind: Samuel Werner (Keyboard, Gesang), Tony Eggel (Gitarre, Gesang), Walter Sieber (Gitarre, Gesang), Rodo Bossotto (Schlagzeug, Gesang), Roland Derendinger (Bass, Querflöte, Gesang) und Marcel Jossen (Gitarre, Akkordeon und Gesang). Die Band remember besteht aus Mannen im Pensionsalter. Sie haben den Songs aus den Sixties etwas die Schärfe genommen, indem sie die aufmüpfigen und aufrüttelnden Songs zu bekömmlicher Tanzmusik umgestylt haben. Natürlich ist es immer ein Wagnis, die Songs, die rund um die ganze Welt gingen, zu „covern“. Wer wagt es schon, sich mit der Beatles-Ikone John Lennon zu messen? Tony Eggel hat es versucht, und dank einer eigenen Interpretation ist ihm gelungen, was nur wenigen gelingt: Er hat „Imagine“ von John Lennon auch fünfzig Jahre später glaubhaft und bewegend rübergebracht. Es ist dies ein Songtext, der auch heute noch den Geist weitet und das Herz bewegt.

ImagineStell dir vor. Der Beatles-Song beinhaltet zutiefst philosophische Gedanken. Dem Songtext liegt die Vision von einer Gesellschaft zugrunde, die frei ist von Religionen, von Nationalismus und von Privateigentum. Das Lied ist ein Plädoyer für den Frieden und gilt als Hymne der Friedensbewegung. Einige Textstellen im Wortlaut: Stell dir vor, all die Leute lebten ihr Leben in Frieden. Stell dir vor, es gäbe keinen Besitz mehr. Ich frage mich, ob du das kannst. Keinen Grund für Habgier oder Hunger. Eine Menschheit in Brüderlichkeit. Stell dir vor, all die Menschen teilen sich die Welt. Du wirst vielleicht sagen, ich sei ein Träumer. Aber ich bin nicht der Einzige. Und ich hoffe, eines Tages wirst auch du einer von uns sein, und die ganze Welt wird eine Einheit.

Das Woodstock-Festival vereinigte so ausdrucksstarke Songwriter wie Crosby, Stills, Nash & Young. Sie waren die Supergroup. Bereits ihr erstes Album aus dem Jahr 1969 war ein durchschlagender Erfolg. Mit Songs wie Wooden Ships trafen Nash & Young das Lebensgefühl vieler Amerikaner zur Zeit des Vietnamkriegs. Mutig, wie nun die Amateur-Band remember sich an dieses Monument aus einer bewegten Zeit wagte. Der mehrstimmige Satzgesang und die überragenden Lead-Gitarristen sorgten für ein tolles Comeback des Kultsongs von Nash&Young.

Here comes the sun. Der Beatle George Harrison hat diesen tröstlichen und optimistisch stimmenden Song einer Welt in Aufruhr und voller Kriegslärm geschenkt. Die Band remember versetzte ihr Publikum damit in eine nachdenkliche Stimmung. Die eine oder andere Zuschauerin wischte sich verstohlen ein Tränchen aus dem Gesicht: Little darling, I feel that ice is slowly melting. Little darling, it seems like years since it’s been clear. Here comes the sun. And I say it’s all right. 

Tiefsinnige poetische Texte präsentierten die Hollys im Jahr 1969. Etwa das Lied „He is my brother“. Der Song erzählt eine Geschichte aus dem nordirischen Krieg. Ein junger Soldat trägt seinen getöteten Bruder auf den Armen: Der Weg ist lang. Aber ich bin stark genug, um ihn zu tragen. Er ist nicht schwer, er ist mein Bruder. Wenn ich schwer tragen muss, dann ist es nicht das Gewicht des Bruders. Es ist die Traurigkeit, die schwer auf mir lastet.

Plötzlich hatte der Pianist eine Künstler-Perücke auf. Die Band remember brillierte mit einer Eigenkomposition. Text und Melodie: Tony Eggel. Das Intro und den Schluss zu dieser Eigenkomposition hatte Johann Sebastian Bach geliefert. Das Lied handelt davon, wie die Älteren zusammen mit den Kindern und mit den Enkeln eine neue Welt aufbauen wollen. Doch leider fährt nur allzu oft die Macht der Politik dazwischen. Hatten wir nicht auch schon in der 60er Jahren derartige Träume und Visionen? Die Band remember bleibt sich selbst treu. Das Gedankengut der Achtundsechziger ist auch heute noch aktuell.

Zum Schluss ein Hallelujah. Das wohl schönste Hallelujah stammt von Leonard Cohen. Ja, und da kam erst so richtig Bewegung ins Publikum im Alten Werkhof von Brig. Besonders dann, als die Band remember den Refrain intonierte. Ob da auch alle verstanden haben, was sie gesungen haben? In einer deutschen Übersetzung würde das etwa so tönen: Ich gab mein Bestes, doch es war nicht viel. Ich konnte nichts fühlen, deshalb versuchte ich zu berühren. Ich sagte die Wahrheit, ich bin nicht gekommen, um dir was vorzumachen. Und auch wenn alles schief gelaufen ist, werde ich vor dem Gott des Gesanges stehen, mit nichts auf meiner Zunge, als mit einem Hallelujah.

Träumen ist erlaubt. Als die letzten Akkorde der Band remember verklungen waren, da sind viele von uns aufgewacht aus einem rührseligen Traum. Wir hatten einen Traum geträumt aus vergangenen Zeiten, einen Traum von Aufbruch und von Frieden. Die reifen Musiker von remember haben wohl diesen Traum mit uns geträumt. So passte denn als Zugabe einzig „California Dreaming“ von The Mamas & The Papas. Der „California Dream“ ist der Traum von einem Ort hier auf Erden, an dem alles von Neuem beginnen kann. Daraus hat sich später der Mythos vom „American Dream“ entwickelt. Es ist dies der Traum von einem Land, das uns unbeschränkte Freiheiten verspricht. Von einem Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Zauberhafte Träume in diesen vorweihnachtlichen Tagen. Das begeisterte Publikum bedankte sich mit Szenenapplaus. Auf dass die Träume und Visionen von einem friedlichen Miteinander dereinst Wirklichkeit werden!

Text und Fotos: Kurt Schnidrig