In Krisenzeiten unsere Welt neu denken

Nahrungsangebot, Trinkwasser, Wohnraum, Energie, Gesundheitsvorsorge und Bildung gehören bereits weltweit zur „kritischen Infrastruktur“. (Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Angesichts begrenzter natürlicher Ressourcen und des unerbittlich fortschreitenden Klimawandels müssen wir einer neuen Realität ins Auge blicken: „Während der Menschheit lange Zeit sehr viel Planet für wenig Mensch zur Verfügung stand, gibt es heute für immer mehr Menschen immer weniger Planet.“ Diese Aussage findet sich im Plädoyer, das die Nachhaltigkeitsforscherin und Politökonomin Maja Göpel in Buchform an die Welt richtet. Ihr Buch trägt den fordernden Titel: „Unsere Welt neu denken“. Maja Göpel plädiert für ein anderes Wirtschaften. Unter dem Eindruck der Corona-Krise erhalten viele Passagen ihres aktuellen Buchs eine zusätzliche Brisanz.

„Was zum Beispiel brauchen wir denn unbedingt, wenn wir gut versorgt sein wollen? Nahrung, Trinkwasser, Behausung, Energie, Gesundheitsversorgung und Bildung. Sind es nicht genau diese Bereiche, die derzeit als kritische Infrastruktur bezeichnet werden?“

Maja Göpel, Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats für Globale Umweltveränderungen.

Jede Krise bringt auch ihre Chancen mit sich. Viel abstrakter als die gegenwärtige Corona-Krise ist die andauernden Klimakrise. Bislang war es unvorstellbar, wie wir „das Förderband, mit dem wir Umwelt in Wohlstand umwandeln, entschleunigen könnten“, schreibt Maja Göpel. Mit dem durch das Coronavirus ausgelösten abrupten Stillstand der Produktion geschehe dies gerade unfreiwillig – und dies mit sichtbaren Auswirkungen auf die Umwelt.

„Wir werden, was bislang unmöglich schien, dank des Corona-Shutdowns unsere Klimaziele 2020 erreichen.“

Maja Göpel, Politökonomin

Was wir insbesondere aus der gegenwärtigen Krise lernen könnten? Dass wir alle mit dem, was wir schon haben, eigentlich ganz gut klarkommen. Seien wir ehrlich: Das Narrativ vom ewigen Wachstum, von dem letztlich alle profitieren sollten, ist nicht aufgegangen, weder ökologisch noch sozial. Es braucht allerdings mehr Verteilungsgerechtigkeit und vor allem ist eine Rückkehr zum menschlichen Mass angesagt. Es geht nun darum, unsere ökonomischen Systeme so umzustellen, dass die Versorgung des Menschen wieder in Einklang mit den natürlichen Lebensgrundlagen und ihrer Regeneration funktionieren kann.

„Dass die Leute eigentlich mit dem, was sie schon haben, relativ gut klarkommen, das kommt in der Denke nicht vor.“

Maja Göpel in: „Unsere Welt neu denken“.

Wenn wir so weiter wirtschaften wie bisher, werden immer nur ganz wenige profitieren. Es braucht ein neues Denken, damit letztlich alle Nutzen ziehen können. In ihrem Buch „Unsere Welt neu denken“ zeigt Maja Göpel am Beispiel von Bill Gates, was gemeint ist. Bill Gates, einer der reichsten Menschen der Welt, verbringe jährlich zirka 350 Stunden in der Luft und verbrauche dabei das Kohlendioxid-Leistungsbudget von 38 Menschen. Verallgemeinernd lässt sich resümieren: Diejenigen, die es sich leisten können, sind in der Lage, ihre Rohstoffe vernichtende Lebensweise uneingeschränkt fortzusetzen. Leute wie Bill Gates könnten sich das leisten, was alle anderen sich nicht leisten können: Sich an den Klimawandel anpassen, dahin ziehen, wo es noch schön ist, die steigenden Preise für weniger Nahrungsmittel bezahlen und die Zerstörung ihrer Häuser von Versicherungen übernehmen lassen, kommt Maja Göpel zum Schluss.

Die Weltbevölkerung hat sich verdoppelt, und dies gerade mal in fünfzig Jahren. In einer vollen Welt habe der „homo oeconomicus“, das Menschenbild eines egoistischen Nutzenmaximierers, seine Daseinsberechtigung verloren, meint Maja Göpel. Derzeit 7,7 Milliarden allein auf ihren Vorteil bedachte Erdenbürger würden die Ökosysteme des Planeten zum Kollabieren bringen, schreibt die Politökologin Klartext.

„Eine Pflanzen bestäubende Drohne als technische Reaktion auf das Bienensterben ist ein Sinnbild für das absurde menschliche Streben.“

Maja Göpel in: „Unsere Welt neu denken“.

Die amerikanische Einzelhandelskette Walmart soll das Patent beantragt haben für eine Pflanzen bestäubende Drohne als technische Reaktion auf das Bienensterben. Das sei absurd und schlicht Wahnsinn, urteilt die Autorin. Bienen leben vom Blütenstaub der Pflanzen und vom selbst produzierten Honig. Die Pflanzen gewinnen ihre Energie aus der Fotosynthese, was alles ganz ohne unser menschliches Zutun und vor allem ohne Schaden für die anderen Ökosysteme geschieht. Unsere Anbaumethoden und Pflanzmethoden sind es, welche die Bienen vernichten. Was nun ist wirklich lebenserhaltend? Die bestäubende Drohne oder die Umgestaltung der Anbau- und Pflanzmethoden?

Hören Sie den Podcast aus der Sendung Literaturwelle zum Thema „Unsere Welt neu denken“. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig / Corinne Amacker)

Text, Foto und Radiosendung: Kurt Schnidrig