Mehr Licht, bitte!

Der Herbstblues hat inmitten der Corona-Beschränkungen leichtes Spiel. Dagegen hilft mehr Licht. (Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Noch bis kurz vor Weihnachten nimmt die Helligkeit mit jedem Tag etwas ab. Bei vielen Menschen schlagen die wenigen hellen Stunden und die lange Dunkelheit auf die Stimmung und rauben die Energie. Die Corona-Beschränkungen spielen in diesen Wochen zusätzlich noch mit in diesem vielstimmigen Herbstblues. Der Wunsch, die Welt in hellen und leuchtenden Farben zu erleben, ist so alt wie die Menschheit selbst. Die Helligkeit erweitert überdies das eigene Bewusstsein. Mangelt es an Licht, werden die Menschen erfinderisch. Die Herstellung synthetischer Drogen im 20. Jahrhundert hat neue lichtvolle Wege aufgezeigt, die aber allesamt in einer Sackgasse mündeten. Darüber hat der amerikanische Autor T.C. Boyle einen Roman geschrieben mit dem Titel „Das Licht“ (T.C. Boyle: Das Licht. Hanser, 384 Seiten). Weshalb aber verleiht uns das Licht mehr Energie und eine gehobene Stimmung?

Licht mit hohem Blauanteil weckt uns auf und sollte nachts gemieden werden. (Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Grundsätzlich gilt: Je mehr wir uns dem Tageslicht aussetzen, desto besser. Die Beleuchtungsstärke im Freien ist bedeutend höher als in unseren Wohnungen. In unseren Büros ist ein Wert von 500 Lux vorgeschrieben. Draussen erreicht das Tageslicht meistens 5000 Lux. Ein Sommertag mit viel Sonne zaubert gar bis zu 100’000 Lux herbei. Nachts allerdings sorgen viele künstliche Lichtquellen für immer mehr helles Licht. Sie stören die Tag-Nacht-Zyklen von Mensch, Tier und Pflanze. Das künstliche Licht mit hohem Blauanteil sollte deshalb nachts gemieden werden, denn es raubt uns den Schlaf. Andererseits aber kann künstliches blaues Licht – zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt – stimmungsaufhellend wirken und kann auch zur Behandlung von Depressionen verwandt werden.

Künstler nutzen die leistungsfördernde Wirkung des Scheinwerferlichts (Symbolbild: Kurt Schnidrig)

„Im Scheinwerferlicht stehen“ – die Redewendung steht für „brillieren“, „sich hervortun“. Tatsächlich wirkt eine Steigerung der Lichtstärke leistungsfördernd, und dies nicht nur auf einer Theaterbühne. Selbst bei Tätigkeiten wie Rechnen, Denken oder Erinnern wirkt eine Steigerung der Lichtstärke stimulierend. Man fühlt sich besser, man ist auch optmistischer und urteilt stärker vor allem ins Positive.

Das Licht schafft Atmosphäre. (Im Bild: Staatstheater Wien / Kurt Schnidrig)

Die Atmosphäre in einem Raum wird durch das gedimmte Licht in vielerlei Farben gestaltet. Dabei manifestieren sich beim Publikum kulturelle Unterschiede: Bewohner kühlerer Regionen fühlen sich bei wärmerem Licht besser aufgehoben, solche aus wärmeren Gegenden lieben kühleres Licht. Auch aus diesem Grund kommt dem Licht bei einer Aufführung auf der Bühne grösste Bedeutung zu. Was für die Bühne gilt, das lässt sich auch auf unsere tägliche Wohnumgebung übertragen. Schlechte Beleuchtung bewirkt in uns Müdigkeit, unsere Augen werden stärker belastet, der Blutdruck steigt, wir schlafen schlechter. Nicht selten kann schlechtes oder mangelndes Licht gar Depressionen und Gesundheitsschäden wie Diabetes auslösen oder begünstigen.

Untergehendes Licht beleuchtet auf der Bühne eine Todesszene. (Bild: Musiktheater „Emotionen“ / Kurt Schnidrig)

Licht beeinflusst auch unser Empfinden. Bei einer Steigerung der Lichtstärke fühlen wir uns besser und optimistischer. Diese Erkenntnisse haben sich die Hersteller synthetischer Drogen im 20. Jahrhundert zunutze gemacht. In seinem Roman „Das Licht“ beschreibt der Autor T.C. Boyle, wie die Droge LSD die Menschen vor fünfzig Jahren zu psychedelischen Erfahrungen motivierte. Die „erhellende“ und „lichtvolle“ geistige Revolution sollte der Erweiterung des eigenen Bewusstseins dienen. Die Droge LSD kann für lichtvolle Erfahrungen sorgen, aber auch für triste und traurige.

Romantische Stimmung oder Endzeit-Stimmung? (Bild: Abendrot / Kurt Schnidrig)

Die „Revolution des Lichts“ nahm ihren Anfang in einem Labor der Pharmafirma Roche in Basel. Der Chemiker Albert Hofmann hatte als erster in einem Selbstversuch die psychoaktive Wirkung der Droge LSD entdeckt. Von Basel aus eroberte das LSD in den 1960er Jahren die Welt. An der Harvard-University führte der Psychologie-Dozent Timothy Leary erstmals Versuche mit LSD an seinen Studenten durch. Der Roman „Das Licht“ von T.C. Boyle endet jedoch mit einer ernüchternden Feststellung. Der Autor fragt sich, ob die Vorstellung, dass sich unser Bewusstsein mit Hilfe von Drogen erweitern liesse, nicht bloss eine schöne Idylle sei. Sein Roman wirft schlussendlich die Frage auf: Was bringen „lichtvolle“ und „erhellende“ Einsichten ins eigene Selbst und ins Universum, wenn diese Einsichten nur möglich sind, solange die Droge ihr „Licht“ erzeugt?

Hören Sie den Podcast aus der Sendung Literaturwelle zum Roman „Das Licht“ (Quelle: rro / Kurt Schnidrig)

Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig