Die Natur schlägt zurück

Die Natur erobert sich die Städte zurück – eine Vision in den Texten von Daniela Danz. (Symbolbild: Das Hundertwasserhaus in Wien / Foto: Kurt Schnidrig)

Nicht wenige Naturfreunde und Literaten wünschten sich, dass die Natur zurückerobert, was man ihr genommen hat. Aktuell legt die Poetin Daniela Danz eine Textesammlung dazu vor mit dem Titel „Wildnis“. Neu sind ihre Wunschträume von einer Rückeroberung der Natur aber keineswegs. Bereits im Jahr 1982 überraschte der Schweizer Schriftsteller Franz Hohler mit dem Erzählband „Die Rückeroberung“. Und in den 1970er-Jahren träumte in Wien der Künstler Friedensreich Hundertwasser von einer „Verwaldung der Stadt“ und baute ein „Haus für Menschen und Bäume“. Wie schon vor fünfzig Jahren der Künstler Hundertwasser und vor vierzig Jahren der Schriftsteller Franz Hohler, verbreitet gegenwärtig Daniela Danz, eine der wichtigsten Lyrikerinnen Deutschlands, die Vision, dass die Natur endlich zurückschlägt und sich zurückerobert, was der Mensch ihr genommen hat.

„Wildnis“ – in hochdeutscher Schreibung gar mit Doppel-S oder Eszett geschrieben, ist eine zeitgenössische Textesammlung von Daniela Danz. Der Gedichtband gilt als ein Ereignis in der aktuellen Deutschen Literatur. Voll von wilder Experimentierlust sind ihre Verse und trotzdem streng formbewusst. In der zeitgenössischen Lyrik schlägt Daniela Danz ganz neue und überraschend frische Töne an.

„DIE NACHT KIPPT IN DAS DÄMMRIGE ZIMMER / läuft aus und alles ist schwarz was fangen / wir an mit unseren schwarzen Gedanken / wir tasten nach dem Morgen bis schliesslich / ein erster Bus das Ende des Dunkels über / Land fährt und ich eine Feder neben deinem / Mund erkenne und wie dein Atem sie bewegt: / die Sorgen von gestern haben uns vergessen“

Daniela Danz

Rebellische Poesie. Im aktuellen Gedichtband „Wildnis“ schlägt die Natur zurück. Am Anfang überwuchert die Natur ganz allmählich nur die Gärten, später sind es Stürme und Überflutungen, die ganze Städte untergehen lassen. Rückeroberung ist angesagt. Die Natur bemächtigt sich der Flora und der Fauna. Wolken, Licht, Vögel und Pflanzen sind personifiziert, können also sprechen und handeln wie wir Menschen. Die moderne Literaturtheorie hat dafür auch bereits den Fachausdrück „rebellische Poesie“ geprägt.

Zu spät ist es geworden für die Menschen. Sie haben verspielt. Längst ist ihnen die Natur abhanden gekommen und fremd geworden. Ein Lichtlein der Hoffnung lässt die Ich-Erzählerin jedoch aufleuchten: Als die Natur eine ganze Siedlung zurückerobert, spürt die Ich-Erzählerin endlich Tatendrang und Aufbruchstimmung. Die Texte von Daniela Danz sind frei von jeglicher moralisierender Instanz. Da ist niemand, der mit dem Zeigefinder droht. Ganz im Gegenteil. Die Texte verweisen auf die Schönheit und auf die Unberührtheit unserer Erde, die ohne menschliches Dazutun in Jungfräulichkeit erstrahlt. Wie wundervoll und zauberhaft ist doch unsere Welt ohne die menschliche Zerstörungswut: Das Liebesspiel der Bäume, der Flug der Ente am Himmel, die Traurigkeit der Wolken…

Daniela Danz wurde 1976 in Eisenach geboren und studierte Kunstgeschichte und Deutsche Literatur in Tübingen, Prag, Berlin und Halle. Für einen Auszug aus dem Manuskript zu „Wildnis“ wurde sie mit dem Deutschen Preis für Nature Writing ausgezeichnet. Ihre Texte lassen sich inhaltlich und thematisch in eine Tradition stellen, an deren Anfang auch die Erzählungen unseres Schweizer Schriftstellers Franz Hohler stehen.

Franz Hohler hat bereits 1982 seinen Erzählband „Die Rückeroberung“ herausgegeben. Seine Geschichte „Die Rückeroberung“ beginnt ganz unverfänglich:

„Eines Tages, als ich an meinem Schreibtisch sass und zum Fenster hinausschaute, sah ich, dass sich auf der Fernsehantenne des gegenüberliegenden Hauses ein Adler niedergelassen hatte. (…) Als er ein paar Wochen später zurückkam, war ein zweiter Adler mit ihm, und zusammen begannen sie auf dem Nachbarhaus ein Nest zu bauen.“

aus: Franz Hohler, Die Rückeroberung, Luchterhand Literaturverlag.

Die Adler sind nicht die einzigen, die in Hohlers „Rückeroberung“ zurückschlagen. In der Parkanlage beim Bürkliplatz in Zürich wird plötzlich eine Herde von Hirschen gesichtet. Scharfschützen werden aufgeboten, Wildhüter und Jagdaufseher. Sie alle können jedoch die Rückeroberung nicht aufhalten. Adler und Hirsche halten sich wacker in der Stadt Zürich und lassen sich nicht mehr vertreiben. Als dann aber auch noch 33 Wölfe in Zürich einrücken und sich auf der Landepiste des Flughafens eine Verfolgungsjagd auf die Hirsche liefern, wird es gefährlich. Es rücken immer mehr Tiere in Zürich ein und die Natur erobert sich ihre Reviere zurück. „Von da an begann man sich langsam darauf einzurichten, dass man diese Tiere möglicherweise nicht loswerden konnte; sondern irgendwie mit ihnen Leben musste“, resümiert der Ich-Erzähler in „Die Rückeroberung“.

Friedensreich Hundertwasser war womöglich der erste Umwelt-Träumer und Literat, welcher der Natur ein Zurückschlagen zutraute. In den 1950er-Jahren demonstrierte der österreichische Künstler gegen die Verstädterung und gegen das Verschwinden und Zerstören der Natur in Städten wie Wien. Er entwarf phantastische Pläne, die der Rückeroberung der Natur dienen sollten. Dazu gehörte etwa das Aufforsten der Dächer Wiens, die sogenannte „Dachbewaldung“. Das Bijou seiner architektonischen Träume war jedoch das „Hoch-Wiesen-Haus“, gefolgt vom „Augenschlitzhaus“ und dem „Terrassenhaus“. In einem Brief vom 30. November 1977 an den Wiener Bürgermeister Leopold Gratz empfahl dann Bundeskanzler Kreisky, Hundertwasser die Möglichkeit zu geben, seine visionäre Rückeroberung durch die Natur beim Bau eines Wohnhauses umzusetzen. „Ein Haus für Menschen und Bäume“ zu bauen, das war Hundertwassers Traum von der Rückeroberung durch die Natur, beschrieben bereits Jahre zuvor in seinem Text „Verwaldung der Stadt“. Von Hundertwasser in den 1970er-Jahren über Franz Hohler in den 1980er-Jahren spannt sich nun der Bogen bis zur zeitgenössischen Textesammlung „Wildnis“ von Daniela Danz.

Hören Sie den Podcast aus der Sendung Literaturwelle zum Gedichtband „Wildnis“ von Daniela Danz. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig / Petra Wysseier)

Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig