Begegnung mit Weltstar und Clownin Gardi Hutter

Weltstar und Clownin Gardi Hutter war zu Besuch in der Buchhandlung ZAP* in Brig. Im Interview mit mir sprach sie über ihre Zeit als Künstlerin, Selfmadewoman, Unternehmerin und als „Trotzkopf“. (Foto: Kurt Schnidrig)

Die Historikerin, Verlegerin und Autorin Denise Schmid hat soeben die Biographie von Gardi Hutter in Form eines über 400-seitigen Werks herausgegeben. Wir werden das Buch und die Verfasserin im Rahmen der Sendung Literaturwelle auf rro vorstellen. In einem ersten Teil möchte ich Ihnen, liebe Leser*innen, liebe Hörer*innen, Gardi Hutter ganz persönlich präsentieren. Ich hatte mich mit der weltweit bekannten Clownin zu einem ausgiebigen und äusserst spannenden Gespräch getroffen.

Im kleinen Tessiner Dörfchen Arzo könnte sie nun, mit 68 Jahren, eine ruhige Kugel schieben, sagt sie gleich zu Beginn unseres Gesprächs. Arzo ist ihr Rückzugsort, aber auch ihre Denkfabrik, ihre Werkstatt. Ob sie denn nun ihr Otium geniessen könne oder ob es nochmals einen Aufbruch nach neuen Ufern gebe, wollte ich von Gardi Hutter wissen. Die Covid-Zeit habe ihr einen Vorgeschmack gegeben, wie sich die Pension anfühlen könnte, antwortet sie mir. „Ich hab’s genossen, in Ruhe zu Hause zu bleiben.“ Aber als älterer Clown habe man eine Meisterschaft erlangt, die man als junger Clown noch nicht gehabt habe. Deshalb fände sie es schade, wenn das Erarbeitete jetzt einfach verschwinden würde. Gardi Hutters Antwort klingt wie ein Versprechen für die Zukunft…

Ihre Bühnenfigur heisst Hanna. Hanna feiert einen runden Geburtstag, den 40. Die Clownfigur Hanna sprengte auf der Bühne jahrzehntelang weibliche Schönheitsideale und Verhaltensnormen, angetan mit einem Flickenkleid, mit Wuschelperücke und mit dickem Bauch. Ob sie ein Trotzkopf sei, wollte ich vom Weltstar wissen. Eine Rebellin? Eine Revolutionärin? „Vor 40 oder 50 Jahren bin ich sicher ein Trotzkopf gewesen“, gesteht Gardi Hutter. Deshalb trage nun ihre Biographie auch den Titel „Trotz allem“. „Meine Energie kam vor allem aufgrund meines Trotzes zustande“, erklärt sie, „zu einem jungen Menschen passt so ein Trotzverhalten gut, aber später gelangt man zur Erkenntnis: Immer nur Nein sagen ist genauso langweilig wie immerzu Ja sagen. Irgendwann einmal im Leben musst du deine Probleme anders lösen.“

„Meine Energie kam aufgrund meines Trotzes zustande.“

Gardi Hutter im Gespräch mit Kurt Schnidrig

Entscheidende Wendepunkte prägten die Karriere von Gardi Hutter. Aus einem katholischen Elternhaus im St. Galler Rheintal stammend, ist sie im Zuge des rebellischen Aufbruchs inmitten der 1968er-Bewegung zur Suchenden geworden. Dabei hatte sie auch Grenzen überschritten. Ob sie gefunden habe, wonach sie gesucht habe, wollte ich von ihr wissen. „Wenn ich jetzt zurückschaue, dann denke ich: Es ist sehr viel gelungen“, resümiert Gardi Hutter. Weil ihr Leben oftmals wild und im Dunkeln abgelaufen sei, sei das Risiko eines Scheiterns jedoch immer omnipräsent gewesen. Sie habe sich ihren Weg im Leben ganz ohne jegliche Vorbilder gesucht, blickt Hutter zurück. „Ich habe mir vieles erträumt, ich habe vieles davon auch umgesetzt“, sagt sie mit einem strahlenden Lächeln.

Gegen Anpassung, Zugehörigkeit, Manieren, Haltung und Modeerscheinungen ist sie zeitlebens Sturm gelaufen. Gardi Hutter hat ihren eigenen Weg gesucht. Hat sie diese Flucht aus einem geregelten und geordneten Milieu manchmal auch bereut? Es gebe schon Momente, beispielsweise während einer Tournee, in einem Hotelzimmer irgendwo in einer fremdem Stadt, da frage man sich: Was genau mache ich eigentlich hier? Auch wenn sie zuweilen mit ihrem Auto irgendwo im Stau stecke, da würden derartige Fragen aufkommen. „Aber es ist wohl wie bei jedem Beruf“, meint sie schliesslich, „es gibt diese Kirschen im Kuchen, dafür muss man hart arbeiten, deshalb bereue ich nichts.“

Auch über schwierige Jahre in der Lebensmitte spricht Gardi Hutter unverblümt. Als Hofnärrin hatte sie anlässlich der 700-Jahr-Feier im Jahr 1991 das Schweizer Parlament tüchtig Mores gelehrt, vorab auch in Frauenfragen. Ob sie sich als Vorkämpferin sieht? Wenn man in den 1950er-Jahren auf die Welt gekommen sei, dann habe man einfach gar keine andere Wahl gehabt, meint Hutter. „Wenn man in diesen Jahren ein selbst bestimmtes und farbiges Leben hatte führen wollen, dann musste man ausbrechen“, blickt sie zurück. Und sie ergänzt: „Ich war in Verhältnissen aufgewachsen, die mir keine andere Wahl liessen als Hausfrau und Mutter zu werden, mehr ging damals einfach nicht.“ Aber ja, vielleicht sei sie Vorreiterin für Frauenfragen gewesen, sagt sie rückblickend.

„Es gibt diese Kirschen im Kuchen. Dafür muss man hart arbeiten.“

Gardi Hutter im Gespräch mit Kurt Schnidrig

Als eine facettenreiche Persönlichkeit, als Künstlerin, Selfmadewoman, Unternehmerin und nicht zuletzt als zweifache, teils alleinerziehende Mutter, beschreibt sie ihre Biografin Denise Schmid im Buch „Trotz allem“. Welche Facette ihrer Persönlichkeit ihr rückblickend am meisten ans Herz gewachsen sei, wollte ich von Gardi Hutter wissen. „Es war wohl die Mischung davon“, sagt sie. „Wenn ich mich hätte entscheiden müssen für nur Beruf oder für nur Kind, dann wäre das für mich das Schlimmste gewesen“, gesteht sie. Sie habe die Facetten ihrer Persönlichkeit immer vermischt, auch mit dem Clown-Beruf. „Ich hätte gelitten, wenn ich etwas hätte auslassen müssen und nur noch dieses oder jenes hätte tun dürfen“, fasst sie zusammen.

Die Biographin Denise Schmid (rechts) beschreibt im Buch „Trotz allem“ Gardi Hutter als Künstlerin, Selfmadewoman, Unternehmerin und als zweifache Mutter. Hier bei einem Auftritt in der Buchhandlung ZAP* in Brig. (Foto: Kurt Schnidrig)

Ein integriertes „Werkbuch“ bereichert die Biographie. Darin beschreibt Gardi Hutter, wie sie das Programm „Die Schneiderin“ entwickelt hatte. Hatte sie bei ihrer künstlerischen Arbeit eigene Prinzipien, an die sie sich immer gehalten hatte? „Mein wichtigstes Prinzip war: authentisch sein!“, beschied mir Gardi Hutter auf diese meine Frage. „Das, was tief aus mir kommt, das wollte ich in stimmige Bilder umsetzen.“ Niemals habe sie irgendetwas nur aus kommerzieller Logik heraus machen wollen.

„Ich wollte immer das machen, was echt und authentisch ist. Ich habe immer versucht, bei mir und in mir zu bleiben.“

Gardi Hutter im Gespräch mit Kurt Schnidrig

Das Werkbuch zeigt: Wenn man die Arbeit an einem (Clown-)Stück noch sieht, dann ist es kein gutes Stück. „Erst, wenn ein Stück daherkommt wie aus dem Ärmel geschüttelt, dann ist es ein gutes Stück“, fasst Gardi Hutter zusammen.

Als eine „Expertin für das Sterben“ gilt Gardi Hutter. Ein Widerspruch zu ihrem Beruf als Clownin? „Der Clown war erst um den Tod herum geboren worden“, weiss Gardi Hutter, „und nicht nur der Clown, auch das Lachen überhaupt ist um den Tod herum entstanden.“ Der Sinn des Lachens bestehe darin, dass man mit Situationen fertig werde, die man nicht ändern könne, erklärt sie. Man könne sich mit dem Lachen entspannen und wohlfühlen, aber man könne damit nicht die Schwierigkeiten des Lebens aus dem Weg räumen. Zudem sei das Lachen auch eine „Gruppensache“, denn man lache miteinander und daraus resultiere eine Zusammenarbeit.

Einsamkeit, Melancholie und Novemberblues? Gardi Hutter lebt zwar allein in ihrem Haus in Arzo. Da könne sie auch die Stille geniessen. Gefeit gegen den Novemberblues sei aber auch eine Clownin nicht. „Den Stress finde ich jedoch viel schlimmer als die Melancholie im November“, sagt sie. Gardi Hutters Tipp gegen den Novemberblues? „Eine Mischung aus gut befreundet sein, einem gemütlichen Nachtessen und dazwischen die Stille geniessen.“

Das ganze Interview mit Gardi Hutter, mit ihrer Biographin Denise Schmid und alles über das Buch „Trotz allem“ hören Sie in der Sendung Literaturwelle auf rro und demnächst auch als Podcast mit Text und Bild an dieser Stelle.

Text und Fotos: Kurt Schnidrig