Nikolausabend mit Zertifikat

Trotz Pandemie und trotz Zutritt nur mit Covid-Zertifikat: Die Weihnachstbräuche finden in diesem Jahr wieder statt. (Foto: Kurt Schnidrig)

Sind die Weihnachtsbräuche aus dem Norden zu uns gekommen? Blättert man in der Literaturgeschichte bis ins 19. Jahrhundert zurück, findet man die wundervollsten und zauberhaftesten Novellen, Gedichte und Erzählungen zur Weihnachtszeit. Gerne erinnere ich an Theodor Storm (1817-188), der zeit seines Lebens ein besonders inniges Verhältnis zur besinnlichsten Zeit des Jahres gehabt hatte. Aus den Briefwechseln des Dichters geht hervor, welche Bedeutung im Jahreslauf dem Weihnachtsfest zukam. Er schrieb: „Unser Vater war ein echter, rechter Weihnachtsmann. Den ganzen Zauber der Weihnacht seiner Kindheit wusste er in unsere Weihnacht zu übertragen. Der Weihnachtsbaum wird genau so geschmückt, wie er einst ihm geschmückt wurde, die Kuchen nach den althergebrachten Familienrezepten gebacken, wie sie schon sein Kinderherz entzückten.“

„Wie unendlich gemütlich war das einst vor Jahren, zu Hause, wenn in der grossen Stube die Lichter angezündet waren, der Teekessel sauste, die braunen Kuchen und Pfeffernüsse standen auf dem Tisch, Vater und wir Kinder warteten, während drüben in der Weihnachtsstube der Weihnachtstisch arrangiert wurde. Und mir ist, als habe an diesem Abend die Dielenlampe besonders hell gebrannt“

Aus einem Brief Storms an seine Eltern aus dem Jahr 1858

Erinnerungen an die eigene Kindheit werden beim Lesen von Weihnachtsgeschichten wach. Es sind dies Erinnerungen, die ein Leben lang haften bleiben. Jeweils zur Weihnachtszeit steigen sie tief aus dem Unterbewussten hoch. Dabei genügt oft schon der Duft von Zimt oder von Mandarinen, deren Schalen, auf den heissen Ofen gelegt, jede Menge Kindheitserinnerungen wachrufen. Und auch Gedichte, die wir dem Nikolaus in freudiger Erregung vortrugen, zaubern dem ewigen Kind in uns ein Lächeln ins Gesicht.

„Von drauss vom Walde komm‘ ich her; / Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr! / Allüberall auf den Tannenspitzen / Sah ich goldene Lichtlein sitzen; / Und droben aus dem Himmelstor / Sah mit grossen Augen das Christkind hervor, / Und wie ich so strolch’t durch den finstern Tann, / Da rief’s mich mit heller Stimme an: / „Knecht Ruprecht“, rief es, „alter Gesell, / Hebe die Beine und spute dich schnell! / Die Kerzen fangen zu brennen an, / Das Himmelstor ist aufgetan, / Alt‘ und Junge sollen nun / Von der Jagd des Lebens einmal ruhn; / Und morgen flieg ich hinab zur Erden, / Denn es soll wieder Weihnachten werden!“

Theodor Storm, das Gedicht ist um 1882 entstanden

Knecht „Ruprecht“ ist ein norddeutscher Abkömmling. Der Nikolaus dagegen ist türkischer Abstammung. Bischof Nikolaus von Myra wirkte als Schutzpatron der Kinder auf dem Gebiet der heutigen Türkei. Die Gestalt des Bischof Nikolaus von Myra hat sich im Laufe der Jahre mit der Legendbildung rund um einen weiteren Nikolaus, einem Abt von Sion, in der Nähe von Patara, vermischt. Während der Nikolaus im Brauch eine eindeutig positive Rolle besetzt, erscheinen die Gestalten, die ihn begleiten, als Gegenspieler. Der Nikolaus agiert als ein Himmelsbote, seine Begleiter dagegen als Höllenvertreter und als gezähmte Teufel. Knecht Ruprecht – bei uns als „Schmutzli“ bekannt – lässt sich aus rûhperht herleiten, was so viel bedeutet wie „rauhe Percht“. Die „Perchten“ waren winterliche Umzugsgestalten während der Rauhnächte. Beim „Schmutzli“ handelt es sich etymologisch um eine Gestalt mit hässlichem Charakter und verborgenem Gesicht. Die verschiedenen Gestalten des Knechts Ruprechts haben ihren Ursprung wohl im mittelalterlichen Kinderschreck. Sie dienten damals der elterlichen Erziehung als eine Hilfe, um die Kinder zur Frömmigkeit anzuleiten.

Früher als Kinderschreck eine Erziehungshilfe für Kinder, reicht der Knecht Ruprecht (Schmutzli) heute dem Nikolaus die Geschenke für alle Kinder. (Foto: Kurt Schnidrig)

Dank dem Covid-Zertifikat sind der Nikolaus und seine Begleitpersonen heuer wieder zum Besuch in unseren Stuben zugelassen. Wie sehr auch moderne Kinder die alten Bräuche und Riten brauchen und schätzen, wird uns erst dann wieder schmerzlich bewusst, wenn wir – wie im vergangenen Jahr – auf das Brauchtum verzichten mussten: Angefangen beim Laternenumzug zum Fest des Heiligen Martin über das Nikolaus-Einläuten bis zum unvergesslichen Weihnachts-Theater vermitteln wir unseren Kindern wertvolle Erfahrungen mit Bräuchen und Traditionen, denn diese geben ihnen Sicherheit und Geborgenheit. Nur wenn Kinder sich intensiv und stark verwurzelt fühlen, können sie später die Herausforderungen des Lebens bewältigen.

Text und Fotos: Kurt Schnidrig