Leseratten – oder doch nicht?

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Ein Besuch in der Festivalbuchhandlung in Leukerbad. (Foto: Kurt Schnidrig)

Freude und Spass am Lesen und Schreiben wecken – das ist ein hehres Ziel. Aber wie gelingt es? Tatsache ist: Viele Schülerinnen und Schüler haben grosse Probleme damit. Was sind die Ursachen? Häufig fehlt es an den gemeinsamen Leseerfahrungen. Zudem mangelt es an den Lese-Techniken und damit auch an der Fähigkeit, ein mehrseitiges Werk zu lesen. Zusammen mit den Lesekompetenzen gehen auch die Schreibkompetenzen verloren. Eine Frage, die sich stellt: Wollen wir in ein paar Jahren zu einem Volk von funktionellen Analphabeten mutieren, die gerade noch knapp eine Whatsapp-Nachricht entziffern und Bildchen auf Instagram betrachten können? In den Schulen ist das Lesen und das Schreiben häufig geprägt von Versagens-Ängsten und von schlechten Erfahrungen.

Eine zusätzliche ausserschulische Verankerung des Lesens und Schreibens wäre deshalb wünschenswert. Hilfe kann und muss von aussen kommen. Es brauche eine personelle und auch eine inhaltliche Distanz zum schulischen Alltags-Betrieb, ist von Literatinnen und Literaten zu vernehmen. Mit diesem methodischen Ansatz ist bereits vor zwanzig Jahren das Projekt „Schulhausroman“ gegründet worden. In unserem Land liegt die Projektleitung in den Händen der „Gemeinnützigen Gesellschaft für Kulturprojekte“. Die Gesellschaft arbeitet mit Schriftstellern aus der Region zusammen. Die Schreib-Profis gehen als „Schreib-Coaches“ in die Schulklassen, um dort die sprachlichen Kompetenzen, sowohl mündlich als auch schriftlich, zu fördern. Das Zielpublikum für das Schreiben eines Schulhaus-Romans setzt sich vorwiegend zusammen aus Jugendlichen mit defizitären Schulleistungen.

Auch im Oberwallis gelangt das Projekt „Schulhausroman“ zur Anwendung. In den Wochen vor dem Internationalen Literaturfestival Leukerbad waren die Jugendlichen aus der Orientierungsschule Leuk am Schreiben. Als grosses Ziel lockte eine Präsentation ihrer literarischen Werke am Literaturfestival. Als Schreibcoach liess sich der Schriftsteller Rolf Hermann verpflichten. Zusammen mit den Jugendlichen hat er druckreife Texte verfasst. Im vergangenen Jahr stand ihm Christine Pfammatter zur Seite, eine Schreibende aus Leuk, die in Berlin lebt.

Zwei Schulhaus-Romane aus dem Oberwallis liegen bereits vor. Der eine heisst „Liebe ist ein Glücksspiel“. Der Jugend-Roman handelt von einem seltsamen grünen Mann, der insbesondere in der Leukerbadner Sagenwelt herumgeistert. Ein anderer Roman trägt den Titel „Karma is a Bitch“, es ist dies die die Geschichte einer Schüler-Bande, die so einiges an Streichen in ihrem Repertoire vorzuweisen hat.

Die Grundidee, zusammen mit Schülerinnen und Schülern einen Roman zu schreiben, stammt vom Schweizer Autor Richard Reich und von der Germanistin Gerda Wurzenberger. Die Idee besteht darin, dass Autorinnen und Autoren gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern einen fiktionalen Text schreiben, und zwar ausgehend von den ersten Überlegungen bis hin zum druckreifen Manuskript. Jeder Schulhausroman ist somit ein Experiment mit offenem Ausgang. Das Wichtigste aber ist: Durch das Mitgestalten eines längeren Erzähltextes wird das Selbstbewusstsein der Schülerinnen und Schüler gestärkt. Die Auszubildenden erleben, wie ihre Ideen von Schreib-Profis aufgenommen und ernst genommen werden. Sie erfahren, dass ihre Ideen literarisch interessant und wertvoll sind. Das Drucken und das Präsentieren der Texte in Buchform setzt dem Projekt die Krone auf

Leseratten oder doch nicht? Hören Sie den Podcast aus der Sendung Literaturwelle. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig / Rafael Heinen)
Hören Sie, was Rolf Hermann als Schreibcoach zum Projekt „Schulhausroman“ meint. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig)
Hören Sie, was Noemi Schnydrig in der Festival-Buchhandlung von Leukerbad zu ihrer lesenden Kundschaft sagt. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig)

Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig