Gipfelgeschichten, erzählt von David Henzen, getanzt von Sarah Schnyder und Janina Ziegler

Bergführer David Henzen erzählte Gipfelgeschichten über die Einsamkeit; Sarah Schnyder und Janina Ziegler verliehen den Gefühlen des Autors ihren Ausdruck im Tanz. (Foto: Kurt Schnidrig)

Einsamkeit bildet den Schwerpunkt in den sieben Erzählungen, die der Bergführer David Henzen anlässlich des Multimedia-Festivals Berg Buch Brig präsentierte. Seine Protagonisten in den Geschichten sind unfreiwillig alleine, und dies aus ganz unterschiedlichen Gründen. Angetrieben und beflügelt sind sie vom Ziel, einen Gipfel zu besteigen. Das Alleinsein und das Ziel, einen Berg zu bezwingen, führen zu Konstellationen, die uns nachdenklich stimmen. Sichtbar machen und verarbeiten lassen sich derart komplexe Gefühle durch Ausdruckstanz. Die vorgetragenen Auszüge aus David Henzens Buch, kombiniert mit dem Ausdruckstanz von Sarah Schnyder und Janina Ziegler, ermöglichten dem Publikum eine jeweils eigene Interpretation der Geschichten. (David Henzen: Separat. Gipfelgeschichten über Einsamkeit aus sieben Alpenländern. Eigenverlag, Visp 2022.)
Einsamkeit im Ausdruckstanz – jede für sich, trotzdem aber harmonisch zueinander, vor den höchsten sieben Gipfeln aus sieben Alpenländern. (Foto: Kurt Schnidrig)

Ausdruckstanz ist ein Weg zu den eigenen Gefühlen, ganz wunderbar vorgeführt von den Tänzerinnen Sarah Schnyder und Janina Ziegler. Die Beiden zeigten elegant, dynamisch und mitreissend, wie erlebte Gefühle im Tanz verarbeitet werden können, so, dass sie befreiend wirken. Sie rückten die Natürlichkeit des Körpers und seine Bewegungen in den Vordergrund, um so ein „Ausbrechen“ aus konventionellen gesellschaftlichen Formen anzudeuten. Sie vermittelten Gefühle, die auch Berggänger erleben, wenn sie dem Alltagstrott der Städte entrinnen und dynamisch dem Gipfel zustreben. Der moderne Ausdruckstanz, so wie ihn Sarah Schnyder und Janina Ziegler demonstrierten, zeitigt viele Einflüsse, vom Expressionismus beispielsweise, von der Frauen-Bewegung oder auch von der „Zurück zur Natur“-Bewegung. Die Beiden entwickelten ihren Ausdruckstanz weiter bis hin zum „modern Dance“, der Elemente aus verschiedenen Tanzformen verwendet. Sarah und Janina demonstrierten auf zauberhafte Weise, wie und was man beim Erklimmen eines Gipfels fühlt, und dies ganz ohne Worte. Die Worte überliessen sie dem Autor, David Henzen, der dazu Passagen aus seinem Buch in Wort und Bild lieferte.
Hinunter oder doch eher hinauf auf den Gipfel? Auf die Dufourspitze? Auf den Montblanc? Auf die Zugspitze? Oder doch nur auf den Grossglockner? (Foto: Kurt Schnidrig)

Einsamkeit in den Bergen fühlt sich anders an. „In den Bergen kann man selbst entscheiden, ob man einsam unterwegs sein möchte“, sagt David Henzen im rro-Interview. Am Berg hast du die Wahl: „Man kann eine Solotour machen oder Kolleg*innen suchen, die mit auf die Tour kommen.“ Allerdings fühle sich Einsamkeit auf den höchsten Gipfeln unterschiedlich an, meint Henzen. Auf der Dufourspitze sei man allein, auf dem Grossglockner dagegen müsse man um einen Platz inmitten vieler Alpinsten kämpfen. Es komme dabei jeweils auf den Schwierigskeitsgrad eines Berges an. „Die Dufour-Spitze ist lang und anspruchsvoll. Am Grossglockner dagegen befindet sich 300 Meter unter dem Gipfel eine Hütte, diese zieht viele Alpinisten an, deshalb muss man dort nach erfolgtem Aufstieg um einen Platz auf dem Gipfel kämpfen.“

Einsamkeit kann auch Gefahren heraufbeschwören; in manchen Situationen ist es wichtig, zueinander zu schauen und auf einander achtzugeben. (Foto: Kurt Schnidrig)

Einsam und allein auf einem Gletscher die Orientierung verloren? Sowas ist immer möglich. „Wenn die äusseren Umstände gefährlich und schwierig sind, dann fühlt man sich buchstäblich alleingelassen und ist schlecht bedient“, warnt David Henzen, und er illustriert das Gesagte mit einer Geschichte aus seinem Buch. Darin erzählt er von Nora und Bernhard, die auf einem Gletscher die Orientierung verloren haben. Dabei sind Internet und Smartphone kaum hilfreich, im Gegenteil, sie sind eher eine Ablenkung. „Ich habe auch schon erlebt, dass bei grosser Kälte das Smartphone gar nicht mehr funktioniert, dann bringt es am Berg rein gar nichts mehr“, sagt David Henzen im Interview.

Wenn die äusseren Umstände schwierig oder gar gefährlich sind, können Alpinisten in Clinch geraten mit der sie umgebenden Natur. (Foto: Kurt Schnidrig)

Einsamkeit lässt sich erklettern, erfahren oder ergleiten. David Henzen sucht die Einsamkeit auf verschiedene Art und Weise: Auf dem Snowboard, auf dem Velo und natürlich zu Fuss. Ein Fortbewegungs-Mittel, das er bevorzuge, gebe es nicht, sagt Henzen. „Es kommt immer darauf an, auf welcher Höhenlage man sich befindet. Das Velo ist wunderbar für mittlere Lagen, man hat ein flottes Tempo, sieht aber trotzdem noch viel Interessantes am Wegrand. Am Berg selbst jedoch bleibt eigentlich nur die Fortbewegung zu Fuss.“

Miteinander und Zueinander – auch eine Bergbesteigung im Team kann ein freudvolles Erlebnis sein. (Foto: Kurt Schnidrig)

Von einem Teamseminar handelt die siebte und letzte Geschichte aus David Henzens Buch „Gipfelgeschichten über Einsamkeit aus sieben Alpenländern“. In den allermeisten Fällen ist die Bergbesteigung im Team ein freudvolles Erlebnis, sie kittet die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einer „Seilschaft“ zusammen. In der verflixten siebten Geschichte in David Henzens Buch jedoch lädt ein einsamer Vorgesetzter sein Team zu einer Bergbesteigung ein, was nun aber für einmal nicht so gut herauskommt, was nun aber wiederum nicht am Teamseminar als solchem liegt, sondern eher am Vorgesetzten, der Privates zu kompensieren versucht.

Gipfelgeschichten, einfühlsam und mit viel Sachkenntnis von einem erfahrenen Bergführer erzählt und mit viel Emotionen von zwei talentierten Tänzerinnen dargestellt und verarbeitet – das Publikum im bis auf den letzten Platz besetzten grossen Saal von „Berg Buch Brig“ spendete begeistert und mitgerissen viel Applaus.

Hören Sie den Podcast aus der Sendung Literaturwälla mit einem Interview mit David Henzen. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig / Stefanie Sterren)

Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig