François Meichtrys Erinnerungen aus den Leuker Sonnenbergen

François Meichtry erinnert sich im Buch „Das Drachennest“ an seine Kindheit. (Bild: zvg.)

François Meichtry stammt aus Guttet-Feschel ob Leuk und hat Romanistik und Germanistik studiert. Ein Vierteljahrhundert lang war er Lehrer am Kollegium Spiritus Sanctus in Brig. Nun hat er im Eigenverlag ein Buch herausgegeben mit seinen Kindheitserinnerungen aus den Leuker Sonnenbergen.

„Das Drachennest“ ist ein gefälliges Buch, wunderbar illustriert mit aussagekräftigen Schwarz-Weiss-Fotos aus der damaligen Zeit. Der Autor erzählt von Freud und Leid, und er erzählt auch davon, wie erfinderisch die Bergbewohner damals sein mussten, damit sie sich ein Überleben sichern konnten. Meichtry berichtet sachlich und immer wieder auch in poetischer Form, wie es damals in seiner Kindheit in seinem Heimatdorf Feschel zugegangen ist, auf 1280 Metern über Meer, damals noch ohne Verkehrsverbindung hinunter ins Tal.

Die Lebensbedingungen in den 1950er-Jahren waren schwierig und stellten eine echte Herausforderung dar. Die Armut unter der Bevölkerung war gross und das Geld fehlte. Viele pachteten damals ein Stück Land und bewirtschafteten die eigene Scholle. Als Halb-Nomaden führten die Hirten ihre Schafe von dem einen Weideplatz zum andern.

„Hartes Arbeiten auf dem Acker, am Weinberg und auf den Wiesen. / Lasten schleppen mit der Tschifru, Rucksack und Schlitten… Vom Kind bis zum Greis. Ist das ein Steiss.“

Aus: „Das Drachennest“ von François Meichtry

Die Arbeit war streng und herausfordernd. Das Heuen und Mähen im steilen Gelände waren besonders anforderungsreiche Arbeiten. Die Pflege der Reben kam hinzu. Im Winter stand die Arbeit im Wald an. Auch die Frauen und die Kinder hatten mitunter hart anzupacken und mitzuhelfen. Die Kinder durften die Schule nur von November bis April besuchen, dann war ihre Mithilfe im landwirtschaftlichen Betrieb gefragt, im Sommer auf dem Feld, im Winter im Stall.

Das gesellschaftliche Leben in den Leuker Sonnenbergen gestaltete sich „starr“, wie Autor Meichtry schreibt. Die Frauen hätten damals in der Politik und überhaupt im gesellschaftlichen Leben „rein gar nichts zu sagen“ gehabt. Zwar hätten sie mitarbeiten und „krampfen“ dürfen bis zum Umfallen, aber mitreden durften sie nicht. Der Pfarrer, von allen mit „Hehr“ angesprochen, hatte nicht selten von der Kanzel herunter den jungen Frauen die Leviten gelesen, dann etwa, wenn sie es gewagt hatten, in einem allzu kurzen Rock die Kirche zu betreten oder wenn ihre Kleidung allzu farbenfroh ausfiel.

„Die kurzen Röcke der jungen Damen bilden das Lieblingsthema der Geistlichkeit. Moral und Religion lassen sich leicht vermischen. Selbst die Waschmaschinen sind Teufelswerk. Kunststück, sagt meine Mutter. Im kalten Winter müssen der Pfarrer und die gesamte Männerwelt nicht die schmutzige Wäsche waschen am öffentlichen Brunnen, unter dem Dachvorsprung ohne Regenrinne wie wir Waschweiber. Das fehlte noch!“

Aus: „Das Drachennest“ von François Meichtry

Eine „Machogesellschaft“ habe damals die Geschicke der Dorfgemeinschaft bestimmt, resümiert Autor Meichtry. Wie die „Gaaggä“ (die Krähen) hätten die Stärkeren im Dorf den Schwächeren jeden Bissen weggeschnappt. Auch die Erziehung der Kinder sei „eine einzige Katastrophe“ gewesen, schreibt François Meichtry. Kinder seien bestraft worden, ob verdient oder unverdient. François Meichtry hatte innerhalb der Dorfgemeinschaft gleich mehrere Aufgaben wahrgenommen: Er war Geiss-, Schaf- und Kuhhirt, dazu auch Rosstränker, Krankenpfleger, Mäher, Zettler, Heuburdinen-Träger und „Zvierichocher“, wie er süffisant anmerkt, dazu auch Ministrant in der Kirche.

Frohe und glückliche Kindheitserinnerungen bezeichnet Autor Fraçois Meichtry als „Souvenirs“, die ihn bis heute begleiten. Zu den „Souvenirs“ gehörte mit Bestimmtheit die Geburt eines gesunden Kindes. Auch die kirchlichen Feste wie Weihnachten und Ostern hätten Glück und Zuversicht verströmt, erinnert sich Meichtry. In der warmen Jahreszeit hätten Velotouren und Bergtouren die Kinderherzen erfreut.

„Meine Schwester A. und Mutter ziehen einen Holzschlitten beladen mit einer schweren Roggengarbe vom Riämäschbodu (Flurname oberhalb von Erschmatt) nach Feschel. Da fliehen ihre Kräfte und sie bleiben stecken. An einem solchen Moment rufen sie meinen Vater selig an. Auf einmal ging alles wie am Schnürchen.“

Aus: „Das Drachennest“ von François Meichtry

Es tut gut, ein Buch wie „Das Drachennest“ zu lesen. Die Kindheitserinnerungen regen dazu an, das heutige ausufernde Leben und insbesondere die opulente Unterhaltungs- und Freizeitindustrie zu hinterfragen. Irgendwann nach der Lektüre steht die Frage im Raum: War man früher trotz des schwierigen wirtschaftlichen Lebens und trotz der Armut nicht doch vielleicht glücklicher als heute?

Hören Sie dazu den Podcast aus der Sendung Literaturwälla. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig)

Text und Radiosendung: Kurt Schnidrig