Wer in diesen Tagen London besucht und den Buckingham Palace (Bild), dem fehlt es nicht an Gesprächs- und Lesestoff. Am 31. August jährt sich der Unfalltod von Prinzessin Diana zum zwanzigsten Mal. Bücher, Dokus und Berichte versprechen neues Material über die „Königin der Herzen“. Fasziniert hat mich eine Doku des britischen Senders „Channel 4“. In der Doku „Diana: In Her Own Words“ spricht die Prinzessin über einen Satz, der ihr Leben verändert hat. Aus literarischer Sicht bilden sogenannte Ein-Satz-Storys ein eigenes Genre. Topaktuell herausgekommen ist ein Erzählband mit Ein-Satz-Storys von Lydia Davis. In der Schweiz hat Peter Bichsel mit seinen Kürzestgeschichten dieses Genre befeuert.
Doch nun zuerst zum Satz, der das Leben von Prinzessin Diana in eine neue Richtung gelenkt hat. Am 24. Februar 1981 soll es gewesen sein, da verkündeten der britische Thronfolger Charles und Diana ihre Verlobung. Ein etwas unbedarfter Reporter soll dabei dem Paar die Frage gestellt haben: „Ich vermute, Sie lieben sich?“ Die schüchterne Diana reagierte mit einem Lächeln. „Natürlich“, sagt sie. Und da stiess Charles diesen unglaublichen Satz hervor: „Was immer auch Liebe heissen mag“. Viele Jahre später, nach der Trennung von Charles, gestand Diana, dass dieser Satz ihr Leben verändert habe. Der herzlose Satz mit gerade mal sechs Worten habe sie traumatisiert. Der Satz mutiert damit zu einer Ein-Satz-Story.
Wie kommt es, dass ein Satz ein ganzes Leben verändern kann? Der Satz „Was immer auch Liebe heissen mag“ ist objektiv gesehen korrekt. Tatsächlich hat die Liebe viele Spielarten. Wie verrückt diese Emotion sein kann, machte schon Friedrich Nietzsche deutlich in seinem Buch „Also sprach Zarathustra“. Darin schreibt er: „Es ist immer etwas Wahnsinn in der Liebe. Es ist aber auch immer Vernunft im Wahnsinn“. Wenn Liebe im Spiel ist, dann kann das Leben schon mal ganz schön kompliziert werden. Der Grund dafür ist, dass es viele Arten von Liebe gibt. Was wir unter Liebe verstehen, hängt ab von unseren bisherigen Erfahrungen und von unserer Persönlichkeit. Genau dies ist der Ausgangspunkt von unzähligen Songtexten, Hollywoodfilmen und Liebesromanen.
Soeben herausgekommen ist ein Erzählband mit Ein-Satz-Storys der Amerikanerin Lydia Davis. Die Titelgeschichte besteht aus einem einzigen Satz: „Samuel Johnson ist ungehalten, dass Schottland so wenig Bäume hat“. Wer ist Samuel Johnson? Warum ist er ungehalten? Warum soll es in Schottland so wenig Bäume haben? Warum sollte es mehr Bäume haben? – Die Ein-Satz-Story verlangt von der Leserin und vom Leser, dass er / sie die Geschichte in seinem / ihren Kopf vollendet.
In der Schweiz gilt Peter Bichsel als der Vater der Ein-Satz-Storys oder Kürzestgeschichten. Mit seinem Erzählband „Zur Stadt Paris“ hat er bereits im Jahr 1993 vorgemacht, wie eine Ein-Satz-Story funktioniert. Die Titelstory in diesem Erzählband besteht allerdings aus drei kurzen Sätzen. Peter Bichsel schreibt: „In Langnau im Emmental gab es ein Warenhaus. Das hiess Zur Stadt Paris. Ob das eine Geschichte ist?“
Während Peter Bichsel noch etwas unsicher ein Fragezeichen hinter seine Kürzestgeschichte setzt, schreibt aktuell Lydia Davis ungeniert Ein-Satz-Storys. Manchmal allerdings schreibt auch das Leben eine Ein-Satz-Story. So wie im Fall von Prinzessin Diana.
Text und Foto: Kurt Schnidrig