Im tief verschneiten Goms mordet „ein Psycho, wie er im Buche steht“. Das Buch, aus dem dieses Zitat stammt, heisst „Gommer Winter“, und es handelt sich dabei um einen Kriminalroman. Geschrieben hat ihn der Psychiater und Psychotherapeut Kaspar Wolfensberger. Er arbeitet in freier Praxis in Zürich und hat das Goms als seine zweite Heimat auserkoren. Ins Goms, und vor allem nach Münster, zieht es ihn immer wieder zurück, genau gleich wie seinen Protagonisten und Ermittler, den Zürcher Kriminalpolizisten a.D. Kauz Walpen. Die beschauliche Gommer Landschaft macht er in seinen Büchern zu einem Revier für Kriminelle. Nach dem „Gommer Sommer“ (2016) erscheint in dieser Woche der „Gommer Winter“. Die Gommerpremiere geht am 1. Dezember in der Regionalbibliothek Münster über die Bühne.
Die tief verschneite Gommerlandschaft dient als Schauplatz eines gruseligen Mordes. Falsche Spuren irritieren den Kriminalpolizisten a.D. Kauz Walpen, der zusammen mit der Gommer Polizistin Ria Ritz und dem Briger Inspektor Alain Gsponer die Ermittlungen aufgenommen hat. Das Opfer wurde gepfählt. Ist ein Monster am Werk? Geht es um handfeste Sachpolitik? Es scheint jedenfalls so, als würde ein Geisteskranker im Obergoms sein Unwesen treiben. Der viele Schnee spitzt die dramatische Handlung zu, todbringende Lawinen schaffen die gespenstische Szenerie für einen Psycho-Krimi. Gommer Lokalkolorit, dialektale Einsprengsel und Landschaftsbeschreibungen sind die Zutaten.
Der Regionalkrimi (kurz: Regiokrimi) ist häufig eine Domäne von kleineren Verlagen mit regionaler Kundschaft. Das Zielpublikum sind Leserinnen und Leser, die sich wohl vor allem für ihre eigene Region interessieren, die sich aber nicht besonders viel aus der eigentlichen Krimi-Handlung machen. Die Region, die als Schauplatz des Krimis dient, kommt in den Krimis nicht immer gut weg, sie wird in Regiokrimis nach der Schwarzweisstechnik häufig sehr gegensätzlich beschrieben. Lobeshymnen auf Landschaft, Menschen und Sprache wechseln sich ab mit negativen Klischees und peiorativ zugespitzten Eigenheiten und Charakteristiken.
So erscheint auch die Gommer-Reihe, die im Zürcher bilgerverlag erscheint, inhaltlich ambivalent. Ist die Serie für die einen ein touristischer Gewinn, müssen sich andere mit den Mordgeschichten in der erzkatholischen Gommer Landschaft und mit der Darstellung von (auch einheimischen) zwielichtigen Gestalten arrangieren. Das war bereits der Fall im „Gommer Sommer“, wo ein „Gommer Napoleon“ in den Fokus der Ermittlungen rückt, ein „gefährlicher Mann“, der offenbar schalten und walten darf, wie es ihm gefällt. Auf die Frage, weshalb man ihn denn schalten und walten lasse, fällt dieser unsägliche Satz, mit dem auch das ganze Buch beworben wird: „Weil bei uns im Goms, und überhaupt im Wallis, das Recht am Verludern ist.“ Bei einem aufrechten Walliser schrillen da alle Alarmglocken.
Das Verarbeiten von Klischees in einem fiktiven Krimi ist literarisch legitim, das sei zugestanden. Dass die Leserschaft Klischees und fehlende Sensibilität jedoch gut findet, darf dabei nicht erwartet werden. Dabei sind es nicht selten bloss kurze Passagen und Details, die der Leserschaft sauer aufstossen könnten, weil diese mit der regionalen Geschichte und den lokalen Empfindlichkeiten zutiefst vertraut ist. Da geschieht in „Gommer Winter“ ein grausamer Mord durch Pfählung. Und dem Walliser Ermittler Gsponer fällt dazu ein: „Würde schön in die Gommer Tradition der Hexenverbrennung passen, was? Spass beiseite, wir werden einer solchen Spur natürlich nachgehen, wenn sich eine zeigt.“ (Seite 117). Wie bitte? Die „Gommer Tradition der Hexenverbrennung“ als Spass? Ein anderer „Üsserschwizer“, der Basler Autor Werner Ryser, hat diese Thematik im Roman „Walliser Totentanz“ wesentlich sensibler abgehandelt. Auch wenn der Kontext der beiden Romane nicht vergleichbar ist.
Ein Regiokrimi zur sprachlichen Belustigung der „Üsserschwizer“? Das Walliserdeutsche gehört zur höchstalemannischen Dialektgruppe. In der Dialektforschung gilt das Wallisertitsch als der Dialekt mit der grössten Akzeptanz. Walliserdeutsche Einsprengsel tragen in „Gommer Winter“ zweifellos zum Lokalkolorit bei. Wenn der Dialekt jedoch lediglich als musealer Demonstrationsdialekt daherkommt, dann hält sich die Freude des Dialektologen in Grenzen, besonders wenn bei den Ausdrücken eine peiorative Zusatzbedeutung mitschwingt. So ist es etwa „seikkwarä“ (S. 56, warm wie Urin); Eine Figur ist „än hüärä Ggalööri“ (S. 220), „än chritztummä Eschl“ (225), oder mehrere sind „äns durggwiggsti Kärlini“ (S. 166, durchtriebene Kerle).
Im Regiokrimi ist für die Leser-Rezeption das Regionale wichtiger als die Handlung. Damit müssen sich die Autoren abfinden. Dabei hat der Autor des Regiokrimis „Gommer Winter“ durchaus einen überzeugenden Plot konstruiert. Der Roman ist raffiniert gebaut und psychologisch gut motiviert. Ein Roman mit allzu viel psychiatrischem Fachwissen ist es trotzdem nicht geworden, wohl aus Rücksicht auf den imaginären Durchschnittsleser.
Etwas mehr Hintergrundinformationen aus der Psychiatrie hätte man sich als Leser dennoch gewünscht. Bei – für das Verständnis der Story so entscheidenden – Stichworten wie „emotional instabile Persönlichkeit“, „Borderlinestörung“, „narzisstische Züge“ ist akuter Erklärungsnotstand zu beklagen, vor allem bezogen auf die Handlungen der Protagonistin Zara Molnar im Roman. Dagegen wird leider allzu laienhaft und schnodderig auf den Punkt gebracht: Sie ist „geisteskrank – mit anderen Worten“ – und sie ist „Ein Psycho, wie er im Buche steht“ (S. 465).
Dass sich das Ganze in der hochheiligen Weihnachtszeit abspielt und an den hohen Feiertagen, mag bewusstes Kalkül sein. Dem vom Autor gewählten Zeitabschnitt kommt eine immense Bedeutung zu. Zwischen Weihnachten und Neujahr kann er autoritativ die „Experimentalanordnung“ bestimmen. Er schafft eine zeitliche Konstellation, die den Zustand seiner Figuren demonstrieren und analysieren lässt.
Man darf gespannt sein auf die Fortsetzung der Gommer-Reihe von Kaspar Wolfensberger. Der „Gommer Herbst“ und der „Gommer Frühling“ sind noch in Arbeit, wie der bilgerverlag bereits ankündigt.
Text und Foto (Symbolbild): Kurt Schnidrig