Filme, TV-Serien und Bücher lehren uns, wie man heute liebt. Filme und Romane beeinflussen unsere Beziehungen. In Filmen und Romanen sind alle möglichen Beziehungsmuster verarbeitet, die wir als Zuschauer oder als Leser entschlüsseln und aufnehmen. Aktuelle Bücher verbreiten Muster wie „Treue ist auch keine Lösung“. Oder wie „Nimm mich, zerstör mich!“ Wollte man diese Beziehungsmuster alle mal ausprobieren, könnte einem dabei schwindlig werden. So wie dies den drei Künstlern in „Di schöni Fanny“ von Pedro Lenz widerfährt.
Die Liebe ist ein Mysterium. Filme und Romane sind dankbar dafür. Kein anderes Thema berührt und bewegt mehr. Die Literaturwissenschaftlerin Daniela Otto hat Hollywoods geheime Liebesbotschaften entschlüsselt. Lieben, Leiden und Begehren. Jede und jeder von uns kann davon ein Lied singen, einige sogar einen Roman schreiben. Andere schmachten während TV-Erfolgsserien wie „Sex and the City“. Den Erfolg dieser Serie begründet die Literaturwissenschaftlerin damit, dass „Sex and the City“ den Frauen alle möglichen Beziehungsformen vorspielen würde. Sie sieht darin eine moderne Version der „Handbücher für Frauen“, mit denen Mädchen des 19. Jahrhunderts den ehelichen Verhaltenskodex lernen sollten.
Romane als Drehbücher für wirkliche Liebe. Romane vermitteln Muster, nach denen sich Liebe heute gestalten lässt. Beispiele? Die Literatin Daniela Otto zeigt die Varianten moderner Beziehungskultur. Die Vampirromanze „Twilight“ vermittelt das Bedürfnis nach Keuschheit in der Ehe. In „House of Cards“ wird das Thema Liebe durch Macht abgehandelt. Dieses Thema ist immer wieder aktuell, auch wenn Shakespeare mit „Macbeth“ das Zusammenspiel von Liebe und Macht schon viel früher zwischen Buchdeckel verpackt hat. In „Avatar“ wird die grenzenlose Liebe thematisiert, Liebe als Verschmelzung mit einer Urgemeinschaft aller Liebenden dieser Erde. Das hört sich doch sowas von romantisch an! Weit weniger romantisch sind US-Serien wie „The Girlfriend Experience“ oder Martin Scorseses „The Wolf of Wall Street“. In Zeiten von Konsum und Kapitalismus gehe es in diesen Serien folgerichtig um die Käuflichkeit von Liebe und Sex, kommt Kollegin Daniela Otto zum Schluss.
Es bleiben Fragen. Können Beziehungsmuster aus Filmen und Romanen unsere moderne Beziehungskultur tatsächlich aufmischen? Können sie verhindern, dass mehr als 90 Prozent der Ehen den Bach runter gehen? In „Fifty Shades of Grey“ verhandeln die Protagonisten die Sexualpraktiken sachlich am Konferenztisch. Man darf sich fragen, ob „Fifty Shades of Grey“ – eine der meistverkauften Buchserien der Moderne – den Paaren wirklich sexuell auf die Sprünge helfen kann? Immerhin wartet Kollegin Daniela Otto in ihrem Buch „Lieben, Leiden und Begehren“ mit einem guten Ratschlag auf. Es sei wichtig, moniert sie, dass sich die beiden Liebenden mit ihrer Wunschvorstellung in ihrem Skript wiederfinden. Sie meint damit wohl: Wenn eine Frau sich als Märchenprinzessin à la Meghan Markle träumt und der Mann als Pirat à la Johnny Depp, dann gestaltet sich eine gemeinsame Zukunft eher schwierig.
Beziehungsmuster aus Filmen und Romanen? Ich denke, dass es sich auch umgekehrt verhält. Wichtige Beziehungsmuster aus dem echten Leben finden sich in Filmen und Romanen wieder. Nehmen wir beispielsweise die romantische und zugleich kompromisslos radikale Liebe. Sie findet sich im Shakespeare-Drama „Romeo und Julia“ genauso wie im modernen Musicalfilm „La La Land“. Allerdings schafft die Zeit kleine Unterschiede. Ist es im Shakespeare-Drama eine Familienfeindschaft, welche die Liebenden trennt, ist es in „La La Land“ die Karriere, die einer wunderbaren Liebe profan im Wege steht.
Beziehungsmuster aus Kultfilmen verfangen nicht mehr. Das ist doch ein ernüchternder Befund. „Schau mir in die Augen, Kleines!“, schmachtete und stöhnte Humphrey Bogart seine Filmpartnerin Ingrid Bergmann im Film „Casablanca“ vor mehr als achtzig Jahren an. Ist Zärtlichkeit tatsächlich nicht mehr in, wie die Literaturwissenschaftlerin Daniela Otto vermutet? Immerhin bringt sie ein Zitat, das hoffen lässt. Es ist ein Satz von Eugen Drewermann, und er lautet: „Wer liebt, berührt die Unendlichkeit.“ Schön gesagt. Aber dann ist wohl nichts mehr, mit einander in die Augen schauen… oder wie jetzt?
Text und Foto: Kurt Schnidrig