Wenn man ihn so am Tischchen sitzen sieht, fein beschattet von Sommerschirmen, in gelöster und lockerer Stimmung, dann kommt er rüber wie ein etablierter und bürgerlicher Professor aus Deutschland (Bild oben, links). Doch hat Peter Schneider eine revolutionäre Vergangenheit, die so gar nicht zu seinem braven Professoren-Image von heute passt. Er war Aktivist, Wortführer und Kampfgefährte von Rudi Dutschke, damals in der wilden 68er-Bewegung. Zusammen mit der deutschen 68er-Ikone Rudi Dutschke hat Peter Schneider alle Phasen der Protestbewegung von 1966 bis in die Siebzigerjahre intensiv durchlebt. Ich habe ihn in Leukerbad als fabelhaften Erzähler erlebt.
Als Kämpfer und Chronist der 68er-Revolte hat Peter Schneider 20 Bücher geschrieben, die teilweise in mehr als 25 Sprachen übersetzt wurden. Jetzt, 50 Jahre nach der grossen Revolution, lässt er in seinem Buch „Rebellion und Wahn“ die grandiosen und legendären Zeiten von damals nochmals aufleben. Das Resümee, das Peter Schneider zieht, lässt aufhorchen. Er sagt: „Die wichtigste Errungenschaft der 68er-Bewegung in Deutschland bleibt, dass sie massenhaft – und vielleicht für immer – mit der Kultur des Gehorsams gebrochen hat.“ Vielleicht war dieser Bruch mit dem Gehorsam gerade auch in Deutschland von besonderer Bedeutung. Immer noch lebten nämlich viele Deutsche im Kriegstrauma. Niemals wieder wollte man blindlings gehorchen und selbsternannten Führern folgen.
Ein typischer 68er. Eigentlich gibt es ja keine typischen 68er. Die Bewegung von damals war in Berlin ganz anders als etwa in Paris oder gar in San Francisco. Was jedoch viele 68er-Aktivisten verbindet, das ist ihr Weg vom Strassenkämpfer hin zum bürgerlichen Politiker oder Professor. Das Vorzeigebeispiel in Deutschland ist der ehemalige Aussenminister Joschka Fischer, der sich vom Strassenkämpfer zum angesehenen Politiker gemausert hat. Einen ähnlichen Lebensweg hat Peter Schneider zurückgelegt. Nach seiner Zeit als Aktivist und Kampfgefährte von Rudi Dutschke lehrte er als Gastprofessor an amerikanischen Universitäten, darunter so renommierten Universitäten wie Stanford, Princeton oder gar Harvard.
Die Sünde der 68er. Peter Schneider hat sich seiner revolutionären Vergangenheit gestellt. Er ist sich auch der Sünden bewusst, die damals begangen wurden. Als die grösste Sünde der 68er-Bewegung sieht er, dass die Anführer nach einem positiven Aufbruch zu mehr Freiheit und Selbstbestimmung immer mehr einer antidemokratischen Doktrin erlagen. Dabei schreckten sie auch nicht zurück vor den Verbrechen ihrer revolutionären Vorbilder in Kuba und in China. Insbesondere das Konterfei des kubanischen Revolutionärs Che Guevara wurde zur Ikone und zum Aushängeschild der 68er-Bewegung.
Die Dämonen der 68er-Bewegung. Zu den Dämonen der 68er-Bewegung zählte vor allem Che Guevara. „Man trägt die Revolution nicht auf den Lippen um von ihr zu reden, sondern im Herzen um für sie zu sterben“, schrieb Che Guevara. Also starb er für sie. Doch leider war Che Guevaras Ideenwelt völlig ungeeignet, um eine neue Gesellschaft zu schaffen. Auf Kuba wollte Che die Revolution mit Gewalt durchsetzen. Viele Todesurteile gehen auf sein Konto. So taugt Che für die 68er-Bewegung lediglich als revolutionärer Mythos. Er ist zur Ikone der 68er-Revolution geworden. In Deutschland besang ihn Wolf Biermann als „Jesus Christus mit der Knarre“.
Ich bin mir sicher, dass viele, die das legendäre Poster von Che an der Wand hängen hatten, seine Ideen in ihrem totalitären Anspruch nie durchschaut hatten. Das wohl ist es, was Peter Schneider mit dem Wortpaar „Revolution und Wahn“ auf den Punkt bringt.
Text und Foto: Kurt Schnidrig