Ein Fest für die Dichter und Romantiker! Der Vorfrühling holt sie alle hinter dem Ofen hervor, die Liebhaber von Wärme, von Blütenduft und von erwachender Natur. Neues Leben! Frische Ideen und grosse Pläne! Aufbruch und Sehnsucht nach der grossen weiten Welt! Vorfrühling ist’s! Die hohe Zeit der Romantiker!
Kennen Sie diese Vorfrühlings-Erzählung? Sie beginnt mit folgenden Sätzen: Das Rad an meines Vaters Mühle brauste und rauschte schon wieder recht lustig, der Schnee tröpfelte emsig vom Dache, die Sperlinge zwitscherten und tummelten sich dazwischen; ich sass auf der Türschwelle und wischte mir den Schlaf aus den Augen; mir war so recht wohl in dem warmen Sonnenscheine. Da trat der Vater aus dem Hause; er hatte schon seit Tagesanbruch in der Mühle rumort und die Schlafmütze schief auf dem Kopfe, der sagte zu mir: „Du Taugenichts! da sonnst du dich schon wieder. Der Frühling steht vor der Tür, geh auch einmal hinaus in die Welt und erwirb die selber dein Brot.“ Ich ging also in das Haus hinein, holte meine Geige, und so schlenderte ich durch das lange Dorf hinaus. Mir war es ein ewiger Sonntag im Gemüte…“ (Joseph von Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts).
Begegnung mit der deutschen Romantik. Wer, wie Eichendorff, um 1850 herum Student war, der pilgerte zu den zauberhaften Zentren der deutschen Romantik. In Heidelberg, in Berlin und Wien lebten und lehrten damals die Romantiker: Arnim, Brentano, Görres, Tieck, Schlegel. Studieren zur Zeit der Romantik beinhaltete vor allem die Frage: Wie lässt sich die Wirklichkeit in Poesie umwandeln? Meistens geschah dies in Gedichten, die häufig zu echten Volksliedern geworden sind. Ein Beispiel? „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt, dem will er seine Wunder weisen, in Berg und Wald und Strom und Feld…“ Die Natur war für die Romantiker „das grosse Bilderbuch, das der liebe Gott uns draussen aufgeschlagen hat.“
Vorfrühling und Naturlyrik. Kaum ein Dichter, den der Vorfrühling und die aufblühende Natur nicht zu einem romantischen Gedicht inspiriert hätte! Die Weidenkätzchen waren zu allen Zeiten ein dankbares Motiv und auch eine Metapher für neues Leben, für das Träumerische, für das Zärtliche, für das geliebte Schätzchen. Über die weichste aller Blüten hat Christian Morgenstern ein zauberhaftes Gedicht geschrieben. Es handelt sich dabei um ein Zwiegespräch zwischen den Weidenkätzchen und dem „lyrischen Ich“ (das ist die Ich-Person in Gedichten):
Kätzchen ihr der Weide, wie aus grüner Seide, wie aus grauem Samt! Oh, ihr Silberkätzchen, sagt mir doch, ihr Schätzchen, sagt, woher ihr stammt!
Wollens gern dir sagen: wir sind ausgeschlagen aus dem Weidenbaum, haben winterüber drin geschlafen, Lieber, in tieftiefem Traum.
In dem dürren Baume, in tieftiefem Traume habt geschlafen ihr? In dem Holz, dem harten, war, ihr weichen, zarten, euer Nachtquartier?
Musst dich recht besinnen; was da träumte drinnen, waren wir noch nicht, wie wir jetzt im Kleide blühn von Samt und Seide hell im Sonnenlicht.
Kätzchen ihr der Weide, wie aus grauer Seide, wie aus grauem Samt! Oh, ihr Silberkätzchen, ja, nun weiss, ihr Schätzchen, ich, woher ihr stammt. (Christian Morgenstern 1871-1914)
Bereiten Sie Ihren Kindern eine Freude! Die seidigen Weidenkätzchen bereiten besonders auch Kindern grosse Freude. Kinder streicheln die winzigen weichen Kätzchen und behüten sie sorgsam. Kindern kann man keine grössere Freude machen, als wenn man das Gedicht mit verschiedenen Stimmen vorliest. Am besten lesen Sie mit einer hohen, kindlichen Stimme für die Weidenkätzchen und mit einer tieferen, erwachsenen Stimme für den „Frager“.
Einen schönen Frühling wünsche ich euch, ihr lieben Leut!
Text und Foto: Kurt Schnidrig