Den herausragenden Roman dieses Frühjahrs hat wohl der Schweizer Schriftsteller Charles Lewinsky geschrieben. Sein Roman „Der Stotterer“ handelt von einem Protagonisten, der besser schreiben kann als reden. Die Erfahrungen in seinem Leben haben ihn verbittert und manipulativ werden lassen. Für Werte wie Moral oder Ethik ist in seinem Leben kein Platz mehr vorhanden. An einer Stelle ist zu lesen: „Meinem Gewissen geht es wie mir: Es stottert.“ Schon als Kind hatten ihm die Eltern zu Hause ihre Religion buchstäblich eingebläut, manchmal gar mit dem Tennisschläger. Das Kind konnte sich kaum wehren. Und so hat es zu seiner Verteidigung das Schreiben entwickelt und perfektioniert.
Wenn der Bleistift zum Schlagstock mutiert. Der Stotterer aus Lewinskys Roman lebt seine Rachephantasien nicht nur auf dem Papier aus, nein, er nützt sein schriftstellerisches Talent auch dazu, seine Peiniger mit fingierten Briefen zuerst zu manipulieren und dann zu zerstören. Im Buch ist zu lesen: „Ich hatte durch die Kraft meiner Phantasie die Wirklichkeit verändert und fühlte mich der ganzen Welt überlegen.“ Das alles zieht seine Kreise und geht schliesslich so weit, dass für den Stotterer ein Betrug zu Kunst mutiert, ein Verrat zu einem kreativen Akt und das Lügen und Schwindeln zu einem gloriosen Beitrag an die Mitmenschen.
Der Roman wirft grundlegende Fragen auf. Beim Lesen des „Stotterers“ von Charles Lewinsky stellen sich existenziell wichtige Fragen. Ist nicht jede Art des Schreibens immer auch Manipulation? Ist Schreiben manchmal sogar Betrug? Lässt sich mit Hilfe des Schreibens auch wirklich Macht ausüben? Oder ist das Schreiben letztendlich einfach nur ein Eingeständnis der eigenen Ohnmacht? Charles Lewinskys Roman ist ein philosophischer Roman für all jene, die das Schreiben in irgendeiner Form zu ihrem Beruf gemacht haben, oder die das Schreiben brauchen, um einen Ausdruck zu finden für das Unterbewusste, das tief in uns allen schlummert. Und ja, das Schreiben ist wohl auch die beste und effektivste Selbsttherapie.
Text und Foto (Symbolbild): Kurt Schnidrig