Der Georg-Büchner-Preis geht 2019 an den Schweizer Romancier und Dramatiker Lukas Bärfuss. Dies teilt die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung heute Dienstag, 9. Juli, in Darmstadt mit. Der mit 50’000 Euro dotierte Preis gilt als wichtigste literarische Auszeichnung im deutschsprachigen Raum. Die Jury lobte Bärfuss‘ „hohe Stilsicherheit“ und seinen „formalen Variantenreichtum“. Der Autor stammt aus Thun und lebt heute in Zürich. Er arbeitet als Dramatiker, Erzähler und Essayist. 2014 erhielt er bereits den Schweizer Buchpreis und im Jahr 2009 den Schillerpreis. Ich habe mich mit Lukas Bärfuss im Juli 2017 in Leukerbad unterhalten.
Persönliches Gespräch mit Lukas Bärfuss. Schon fast märchenhaft mutet sein Aufstieg an. In Thun verliess er nach neun Jahren die Primarschule. Er verdiente sich sein Geld als Eisenleger und als Gärtner. Dann verschlug es ihn in eine Buchhandlung, wo er sich mit der Schriftstellerei befassen konnte. Seit 1997 ist er freier Schriftsteller, Lehrbeauftragter am Literaturinstitut in Biel und Dramaturg am Schauspielhaus Zürich. Seine Stücke werden weltweit gespielt, seine Romane sind in zwanzig Sprachen übersetzt.
Das Leben ist eine Autobahn. Man müsse allerdings manchmal die falsche Ausfahrt nehmen, dann passiere erst etwas Interessantes, verrät mir Bärfuss. Das Unerwartete stelle sich oft nur dann ein, wenn man die falsche Abzweigung nehme. So geht es auch in „Hagard“ zu, einem seiner neusten Romane. Der Protagonist nimmt eine Abzweigung in seinem Leben, und „es kommt nicht nur gut heraus“, fasst Bärfuss zusammen.
Wichtige Komponenten in Bärfuss‘ literarischem Schaffen sind der überall grassierende Konformismus, die Gleichmacherei und das ewige Konkurrenzdenken. Konkurrenz- und Wettbewerbsdenken könne unser Leben zwar animieren, wenn dieses Denken jedoch zum einzigen Modus werde, zur einzigen Richtschnur, dann würde das die Menschen erschöpfen. Viele Zeitgenossen kämen heute gar nicht mehr zur Ruhe, glaubt Bärfuss. Die Konkurrenz trage auch dazu bei, dass sich die Leute an einander anpassen. Die Art und Weise, wie die Menschen heute ihre Ziele erreichen wollen, sei immer die gleiche. Das führe zu einer allgemeinen Anpasserei. Wichtiger wären jedoch die Unterschiede und Besonderheiten unter den Menschen.
Das Wie des Schreibens ist für Lukas Bärfuss neben den Inhalten von entscheidender Bedeutung. In seinen Werken dominiert die sogenannte „erlebte Rede“, die sich vor ihm auch schon andere Grössen der Literaturgeschichte zu eigen gemacht haben, Virginia Woolf zum Beispiel. Lukas Bärfuss erklärt: „Die erlebte Rede ist so eine innere, leise Stimme, welche durch den Autor verdeutlicht und versprachlicht wird. Der Autor verschwindet hinter dieser inneren Stimme.“ Die Frage stelle sich, ob es diese innere autonome Stimme in unserer Gesellschaft überhaupt noch gebe, sinniert er.
Wir seien heute den Geschichten aller Art hilflos ausgeliefert, ist Lukas Bärfuss überzeugt. Soll der Schriftsteller seiner Leserschaft diesbezüglich Hilfestellung anbieten? Der Schriftsteller müsse aufzeigen, wie verführbar wir seien, antwortet Lukas Bärfuss auf diese meine Frage. Er müsse zeigen, mit welchen dramaturgischen Mitteln wir verführbar seien. Es gebe nämlich verschiedene Techniken und Methoden, auf die Leserinnen und Leser immer wieder hineinfallen. Wenn ein Schriftsteller wisse, welche Techniken erfolgreich sind, dann könne er seine Leserschaft verführen, ist Bärfuss überzeugt. Wer allerdings diese Manipulationen und Verführungskünste kenne, der könne sich auch dagegen wehren.
Schreiben in einer globalen Kultur. Lukas Bärfuss versteht sein Schreiben auch als eingebettet in eine globale Kultur, in ein Universum. Ob diese Art des Schreibens denn nicht auch Gefahr laufe, zuweilen klischeehaft zu wirken, wollte ich von Lukas Bärfuss wissen. Er bejahte diese Frage. Das Gegenmittel gegen die Gefahr, klischeehaft zu wirken, sei allerdings, möglichst genau eine bestimmte Situation zu beschreiben. Man dürfe sich nicht im Allgemeinen verlieren. Er halte es mit dem Papst, der zu Ostern dieses „urbi et orbi“ in die Welt hinaus schicke. Jeder von uns lebe zwar in einem persönlichen Umfeld, gleichzeitig würden wir alle jedoch beeinflusst von allem, was sich auf dieser Welt ereignet. Dazu beitragen würden eine globalisierte Kultur, die Wirtschaft, die ganze Welt. Leider hätten wir noch nicht eine globalisierte Politik, bedauert Bärfuss, das jedoch sei eine Aufgabe für die nächsten Generationen.
Wo sind die Grenzen für den modernen Schriftsteller? Kann und darf ein Schriftsteller heute alles tun oder lassen? Bei dieser meiner Frage kommt Bärfuss ins Studieren. Das sei eine gute Frage, sagt er dann. Er glaube, dass ein Schriftsteller sich nicht alles erlauben dürfe. Auch er selber schreibe nicht immer die Bücher, die er eigentlich gerne schreiben würde. Auch er stosse immer wieder mal an die eigenen Grenzen, an die Grenzen seiner Fähigkeiten und seines Denkens. Er versuche aber, so ein „kreatives Reizklima“ für seine Arbeit am Leben zu schaffen, resümiert Lukas Bärfuss.
Der Georg-Büchner-Preis 2019 für Lukas Bärfuss kommt trotz des beeindruckenden Palmares überraschend. „Das ist der Engelskuss, der einen da trifft“, soll der 47-Jährige gemäss Mitteilung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung nach Bekanntwerden der Preisvergabe gesagt haben. Der Büchner-Preis hat eine lange Tradition. Namensgeber ist der Dramatiker und Revolutionär Georg Büchner („Woyzeck“), er wurde 1813 in Hessen geboren und starb 1837 in Zürich. Zu den Preisträgern gehören grosse Literaten wie Max Frisch (1958), Günter Grass (1965) und Heinrich Böll (1967). Die Auszeichnung geht an Autoren, die sich durch ihre Arbeit um die deutsche Literatur verdient gemacht haben. Der Büchner-Preis ist der renommierteste und seit 2011 höchstdotierte jährlich vergebene Literaturpreis für deutschsprachige Autoren.
Text und Fotos: Kurt Schnidrig / rro
Quelle: Das Gespräch mit Lukas Bärfuss führte Kurt Schnidrig für den Sender rro am 1. Juli 2017 in Leukerbad.