Kommenden Freitag präsentiert Christine Pfammatter ihr neues Buch im Alten Werkhof in Brig. Das Buch trägt den Titel „Die Ersten und die Letzten“. Es enthält neue Prosa mit Collagen. Die gebürtige Leukerin lebt und arbeitet in Berlin als Autorin und Übersetzerin und kommt regelmässig auf Heimaturlaub zurück ins Oberwallis. Dieses Pendeln zwischen Berlin und dem Oberwallis hat sie in ihrem letzten Buch „Permanent Tourist“ in kurzen Texten beschrieben und hat dabei auch interessante Parallelen zwischen unserem Landstrich und Berlin offenbart. Nun also erneut ein Buch mit kurzen Texten. Christine Pfammatter mag die kurze Form.
Neue Prosa mit Collagen. In ihrem neuen Buch „Die Ersten und die Letzten“ hat Christine Pfammatter Miniaturen, Briefe, Skizzen, kurze philosophische Betrachtungen und auch einige Erzählungen zusammengetragen. Die Autorin bewegen politische und religiöse Fragen, aber auch Fragen nach unserer unmittelbaren Zukunft. Wohin führt uns unsere technologische Kultur? Wie gestaltet sich das Kommunikationsverhalten in der Gesellschaft von morgen? Wie erleben insbesondere Frauen unsere Gegenwart? Christine Pfammatter liefert überraschende, erstaunliche und auch originelle Antworten auf derartige Fragen. Sie erzählt präzise, manchmal auch bruchstückhaft, immer aber höchst persönlich.
Einfach nur schreiben. Worum geht es in den Texten von Christine Pfammatter konkret? Diese Frage sollte man nicht stellen, nicht bei dieser Autorin. „Ich möchte ein Buch schreiben über nichts“, ist da nachzulesen im Text mit dem Titel „Die Nachtseite der Schrift“. Als Schriftstellerin will man nichts sagen, nichts erklären, nichts erzählen. Einfach nur schreiben, sich befreien vom Zwang der Mitteilung. Die Schriftstellerin hasst nichts mehr als die Frage nach Inhalten. Und die Frage, wovon denn das Buch handle, sie sollte, ja sie dürfte eigentlich gar nicht gestellt werden. Da ist der Leser also nun ganz auf sich allein gestellt. Damit lädt die Schriftstellerin ein zu persönlichen Betrachtungen und zu eigenen Interpretationen.
Persönliche Resümees. Persönlich sind mir nach einem ersten Querlesen des Buches „Die Ersten und die Letzten“ verschiedene Anstösse und Motivationen zum Weiterdenken und zum Zu-Ende-Denken geblieben. So etwa die Folgenden: Wir alle haben noch viel Zeit vor uns, aber das heisst noch lange nicht, dass wir auch etwas lernen oder dass wir gar gescheiter werden. Nur stiller werden wir, und dies umso mehr, je älter wir werden. Oder dann habe ich zwischen den Zeilen dieses Buches so Ernüchterndes herausgelesen wie etwa das Folgende: Brauchen wir mehr Liebe, wenn der November seinen Blues anstimmt? Nein, vor allem brauchen wir im November einen wärmeren Pullover und ja keine Panik. Und was ist mit dem Leben ganz allgemein? Das Leben ist ein Kreis, wir alle bewegen uns kreisförmig, der direkte Weg zum Ziel ist immer nur eine Idee. Manchmal schien es mir beim Lesen, als hätte Rilke diesem Buch zu Gevatter gestanden. Auch er war, ganz selten zwar, aber doch auch „ein Berliner“, genauso wie die Autorin, auch für ihn war das Leben ein Kreis, bestehend aus Ringen, als er schrieb: „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn. Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn. Ich kreise um Gott, um den uralten Turm, und ich kreise jahrtausendelang; und ich weiss noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm oder ein grosser Gesang.“ (Rainer Maria Rilke, 20.09.1899, Berlin-Schmargendorf).
Wer bin ich? Und wie das Urgestein Rilke kreist auch die Autorin Pfammatter um uralte Fragen als wie um einen uralten Turm: Fremd sind wir inmitten vieler Mitmenschen. In seiner Originalität ist jede und jeder als Individuum ausgestellt, manchmal auch an den Pranger gestellt, man ist in aller Leute Munde, einige tuscheln über dich, einige quatschen und tratschen über dich, besonders dann, wenn du etwas Besonderes versuchst, wenn du dich aus der Masse herauszuheben versuchst, wenn du einen eigenen und originalen Weg zu beschreiten versuchst. Jede und jeder von uns trägt verschiedene Gesichter zur Schau. Wer sind wir aber wirklich? Was genau steckt hinter den Fassaden der Mitmenschen? „Die Ersten und die Letzten“ – das Buch von Christine Pfammatter verlangt dem Leser viel Einfühlung und viel persönliches Verständnis ab. Ein Buch, das zum Nachdenken und Weiterdenken geradezu einlädt. Es sind Texte, die eine spannende Grundlage bieten für öffnende Gespräche.
Text und Foto: Kurt Schnidrig.