Wer in Zeiten von Corona einen kompletten Lockdown fordert, der erntet in diesen Tagen bei vielen Menschen Unverständnis. Selbsternannte Experten, die am liebsten eine Ausgangssperre verhängen möchten, werden mit einem Shitstorm eingedeckt. Mit Panikmache und mit Alarmismus ist niemandem gedient, denn auch Schwarzmalerei und ständige Unkenrufe können krank machen. Wie auch unser Bundesrat, so bauen viele Menschen auf die Hoffnung, sie erhoffen sich für die gegenwärtige globale Krise ein baldiges Happy End. Ostern steht vor der Tür, und damit auch die frühlingshafte Thematik der Auferstehung. Diese unendliche Sehnsucht nach einem Happy End habe ich vor Jahren als Regisseur eines bekannten Shakespeare-Stücks hautnah erlebt. Davon erzählt die Geschichte „Ein Happy End für Romeo und Julia“. (Aus: Kurt Schnidrig: „abheben – wegfliegen. Wo Träume Flügel haben“. Rotten Verlags AG, 2016).
Ein Happy End für Romeo und Julia. Liebe, Tod und Auferstehung sind die grossen Themen des jugendlichen Sturm und Drang. Shakespeare hinterliess mit „Romeo und Julia“ allen aufgeschlossenen Menschen ein Experimentierfeld, das schier unbegrenzt erscheint, sich aber während des Lesens, und insbesondere auch während der Theaterarbeit, als echte Herausforderung entpuppt: Gruppendynamische Prozesse setzen ein, eigenes gefühlhaftes Erleben und faktenorientierte Historie sind abzumischen.
Die Sehnsucht nach einem glücklichen Ende. Zu allen Zeiten haben sich Bühnen sehr frei und experimentell mit dem unsternbedrohten Liebespaar aus dem Shakespeare-Drama herumgeschlagen. Bereits 1660 wurde das Stück von englischen Theatergruppen in einer starken Umarbeitung mit einem „happy ending“ aufgeführt – erstaunlich! Erstaunlich deshalb, weil sich auch die jungen Darstellerinnen meiner früheren Theatertruppe darum rissen, dem Stück eine Schlussszene im Himmel zu verpassen. Sie taten dies in Unkenntnis darüber, dass sich zu allen Zeiten Regisseure mit dieser unglaublich heiklen Aufgabe schwer getan haben. Davon zeugt die Zeffirelli-Verfilmung ebenso wie Prokoffiefs Ballet oder Bernsteins West Side Story. Zeugt diese schwierige Suche nach einem Happy End nicht auch davon, dass der Stoff ein zutiefst menschlicher ist?
Eine getanzte Schlussszene im Himmel. Unsere Inszenierung von „Romeo und Julia“ endete nicht originalgetreu mit dem Tod der unglücklich Verliebten. Meine jungen Darstellerinnen schwelgten einerseits in der blumig-sentimentalen Sonettdichtung Shakespeares, andererseits komponierten sie eigenes Szenarium hinein: Auf der angebauten Vorbühne tanzten Dämonen in heissen Ur-Rhythmen gegen Romeo und Julia, und in der klassichen Guckkastenbühne spielte sich der uralte Stoff des Liebespaares aus Verona ab. Diesem Bühnen-Arrangement fügten wir eine weitere Ebene bei, und zwar durch die modernen „Heaven Dancers“, welche den Kick zum aktuellen Denkanstoss lieferten.
Gegen jede Endzeitstimmung. Wo kämen wir hin, wenn das mittelalterliche Verona einzige Kulisse für all die geschundenen Lieben und Tode und Endzeitstimmungen dieser Erde abgeben würde? So wird aus dem Shakespeare-Theater ein Verfremdungstheater im Brechtschen Stil, illusionstötend und Kritik erheischend, vielleicht aber gerade auch deswegen geeignet, neue Phantasien aufzubauen. Bei aller Experimentierfreude: Der klassische Hauptstrang der Handlung blieb unangetastet. Der Zwist zwischen zwei verfeindeten Familien, den Montagues und den Capulets, der verzweifelte Versuch der Kinder Romeo und Julia, ihre Liebe entgegen aller Widerstände zu verwirklichen, das alles wurde originalgetreu übernommen. Einzig das glückliche Ende, getanzt und himmlisch zelebriert, folgte als eigene Kreation.
Ein Happy End nach jeder Krise. Ja, die Liebe. Sie legt die Lunte, sie provoziert komische Intermezzi, sie verwandelt uns manchmal in tragische Clowns und in rachsüchtige Bestien. Die Liebe, sie stirbt nicht mit Romeo und Julia, sie lebt weiter in den Romeos und Julias unserer Tage. Sie ist Leuchtturm in stürmischer Nacht und Nordstern in polarischer Kälte. Sie ist das Leichte und das Schwere. Sie verhilft zu einer glücklichen Schlussszene in jedem Drama und in jeder Krise. Sie, die Liebe.
Text und Foto: Kurt Schnidrig