Das Tagebuch-Schreiben hat eine lange Tradition. Gross in Mode kam das Tagebuch im Mittelalter, vor allem zwischen dem 10. und 16. Jahrhundert. Dank des gesteigerten Ich-Bewusstseins versuchten sich in dieser Zeit einzelne Persönlichkeiten aus der Masse zu lösen und strebten eine eigenständige und selbstbewusste Lebensführung an. Ab dem 18. Jahrhundert gestaltete sich das Tagebuch-Schreiben dann nochmals viel subjektiver und auch persönlicher. Im Zeitalter des Absolutismus, also nach dem Ende des Dreissigjährigen Krieges 1648 bis zum Ende der Französischen Revolution 1789, erfolgte dann der Rückzug der Menschen ins Private. Viele Tagebücher aus dieser Zeit waren religiös motiviert, sie dienten der Erforschung der eigenen Seele. Das Tagebuch-Schreiben in dieser Zeit funktionierte wie eine Beichte. Man vertraute dem Tagebuch an, was man damals als „Sünde“ hielt. So entledigten sich die Menschen im Zeitalter des Absolutismus ihrer Schuldgefühle und verschafften sich schreibend Erleichterung.
„Ein Tagebuch ist ein Garten, ein Obstgarten, ein Lagerhaus, eine Party, eine Gesellschaft, ein Ratgeber, eine Vielzahl von Ratgebern.“
Charles Baudelaire (1821-1867), franz. Schriftsteller, in: „Journaux intimes“
Inspiriert von Schriftstellern wie Charles Baudelaire kam im 19. Jahrhundert in Frankreich das „Journal intime“ gross in Mode. Es war dies schon fast eine Ich-Analyse in Tagebuch-Form. In Deutschland waren es die Literaten Friedrich Hebbel und E.T.A. Hoffmann, welche die Idee des „Journal intime“ in die deutschsprachige Literatur aufnahmen. In der Schweiz war es später Max Frisch, der sich in die Spur der französischen Intimisten begab und Tagebücher veröffentlichte, die heute zur hohen Literatur gerechnet werden.
In Ausnahmesituationen beginnen viele mit dem Tagebuch-Schreiben. Das „Tagebuch der Anne Frank“ ist ein leuchtendes Beispiel dafür. Es ist während des Zweiten Weltkriegs entstanden. Damals hatte die nationalsozialistische Diktatur die Menschen zum Tagebuch-Schreiben veranlasst. Die von Krieg und Leid geschädigten und traumatisierten Menschen verschafften sich durch das Schreiben im Tagebuch oftmals therapeutische Erleichterung und neuen Lebensmut und Lebenswillen.
Das „Blog“ (oder auch der Blog) ist ein öffentlich einsehbares Tagebuch. Das Wort Blog ist die Abkürzung von Weblog, eine Zusammensetzung aus den beiden englischen Wörtern web, für Netz, und log, für Logbuch bzw. Tagebuch. Die Tätigkeit des Schreibens in einem Blog wird als Bloggen bezeichnet. Der Blogger ist der Hauptverfasser des Inhalts, und häufig sind die Beiträge aus der Ich-Perspektive geschrieben. Das Blog bildet ein Medium zur Darstellung von Aspekten des eigenen Lebens und von Meinungen zu spezifischen Themen. In meinem vorliegenden Blog handelt es sich um den „rro Blog Literatur“, der von Radio Rottu Oberwallis in Zusammenarbeit mit mir als promoviertem Germanisten und langjährigem rro-Literaturexperten realisiert wird. Blogs gelten als Internetpublikationen, für die eine sogenannte „International Standard Serial Number“ (ISSN) beantragt werden kann. Dabei handelt es sich um ein Identifikationssystem für unbegrenzt fortlaufende Veröffentlichungen. Damit wird der Blog in der Welt der Medien gleichgesetzt mit anderen fortlaufenden Veröffentlichungen wie Zeitschriften, Zeitungen, Schriftenreihen, wissenschaftlichen Blogs und Datenbanken. Bücher hingegen gelten als Monografien und sind ausschliesslich mit einer ISBN gekennzeichnet. Mit der ISBN kann man die Kontaktdaten eines Buchs erhalten, dann zum Beispiel, wenn man ein Buch bestellen und kaufen möchte.
Neue Formen von Tagebüchern im 21. Jahrhundert sind beispielsweise der „Diary Slam“, darin lesen Menschen ihre Erlebnisse aus der Teenager-Zeit einem Publikum vor. Es ist auch spezielle Tagebuch-Software erhältlich, die das eigene Tagebuch chronologisch verwaltet und auch Suchoptionen ermöglicht. Für mich persönlich ist ein handgeschriebenes Tagebuch, beispielsweise in Form eines sogenannten „paperblanks“, immer noch das A und O des Tagebuch-Schreibens.
Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig