Fotograf Sergio Rattaggi und die Poetin Bernadette Bellwald haben gemeinsam einen prächtigen Foto- und Gedichtband im Eigenverlag veröffentlicht. Beeindruckt von früheren Gedichten der Lötschentaler Poetin Bernadette Bellwald hat der Fotograf Sergio Rattaggi zauberhafte und wundervolle Bilder geknipst, welche nun der Dichterin als Inspiration und als Vorlage für ihre aktuellen poetischen Texte dienten. In ihren Gedichten personifiziert die Dichterin oftmals die unbeseelte Natur und erhebt damit das Unbegreifliche ins menschlich Fassbare. Dabei immer wieder das Hoffnungsvolle, das Wunderbare und Überraschende durch, auch inmitten einer düsteren Novemberstimmung oder im Tanz der fallenden Herbstblätter.
Die Fotografien von Sergio Rattaggi standen am Ursprung des gemeinsamen Foto- und Gedichtbandes. Bereits seit 2004 lebt er in Kippel. Er hat sich in das alte Dorf und in das heimelige Tal verliebt, baut Musikinstrumente und hat sich leidenschaftlich dem Fotografieren verschrieben. Heute knipse „jedä Nool“ mit seinem Handy Bilder, mehr als dass man zu löschen imstande sei, schreibt Werner Bellwald, die Fotografien von Sergio Rattaggi seien aber besonders, einige seien wie Aquarelle gemalt, und der Fotograf verstünde sich grossartig darauf, die zu den Texten passende Stimmung einzufangen.
„Da gseed mu alls, Liit und ds Taal, d Chilchun wolld abgrrisis Loib. Dr Sertscho fotograffiärd oich in Bekkr, wemmiär nuch alli im Näscht liggän, und vorna di Guxun hedr fotograffiärd, wen keyn Mäntsch ä Schritt vor än Poort tuäd.“
Werner Bellwald in „Ä Liäbschaft“
Eine „Hommage an ein Tal“ soll der Foto- und Gedichtband sein. Und so schenken denn der Fotograf Sergio Rattaggi und die Poetin Bernadette Bellwald so manchen Tal- und Dorforiginalen den gebührenden Raum und die wohlverdiente Anerkennung in ihrem Buch: Dem „Bäckr Hans“ etwa, dem Arbeiter Armin, der Verkäuferin Monika, dem Bauer Jakob oder dem Ignaz, der die Vergangenheit erforscht und in Geschichten verpackt. Sie lässt Anna und Maria in Erinnerungen schwelgen, und sie präsentiert uns Nadja in der Sommertracht während der Ausübung eines alten Brauches, der „Spend“. Dass das Handwerk in Lötschen goldenen Boden hat, davon zeugen so traditionelle Berufe wie jener der Hutbearbeiterin oder der Weberin, die bei vielen von uns „Auswärtigen“ wohl schon in Vergessenheit geraten sind.
Die liebevoll gereimten Gedichte hat die Poetin Bernadette Bellwald auf einer reichhaltigen Farbpalette ausgebreitet. Sie erweist sich als genaue Beobachterin der sie umgebenden Natur. Ihre Gedichte erzählen vom Reichtum des Sommers, vom Vollenden des Herbstes und von der eisigen Stille des Winters. Stimmungsvoll sind die Vierzeiler in malerisches Licht getaucht, einem Lötschentaler Trachtenhut gleich, dessen Band mit goldenen Spitzen bestückt und mit farbigen Nadeln aufgesteckt als Prunkstück an Fest- und Feiertagen grosse Bewunderung weckt.
Farbenfroh wie Trachtenhüte sind auch die Sommertage, getaucht aber in Licht und Schatten. Sie künden vom ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens. Wenn das Sonnenlicht das Tal verlässt, heben die Lärchen zu leuchten an und flüssiges Gold durchflutet die Hänge. Herbstliches Abendrot taucht die Wälder in erdige Farbtöne, und wenn die bunten Blätter zum Klang der Abendglocken fallen, dann versinkt das Leuchten im Dämmergrau. Bei anbrechender Nacht schliesslich hebt eine Abend-Sinfonie mit letzten sanften Blautönen an, sie weist uns nach Hause. Im Novemberlicht erscheint still und trübe, blass und kahl, was doch eben noch strotzte vor unbändiger Lebenslust. Doch sobald Winterstürme durch die alten Gassen toben und das Dorf in eisigkaltes Weiss hüllen, wenn der frostige Sturm der letzten Nacht das Tänzeln, Fallen und Stürzen farbig dürrer Blätter in ihrer letzten Stunde beendet, dann geschieht dies nicht ohne ein hoffnungsvolles Lichtlein, das von weither kommt, diffus schimmernd wie ein schlafender Bergkristall.
Eine leise Wehmut, eine Nostalgie nach vergangenen Zeiten und die Sehnsucht nach dem, was früher mal war – auch davon erzählen Bernadette Bellwalds Texte. Stationen aus einer langen Lebensreise scheinen auf, entrückt und zauberhaft: Klirrend kalte Fensterscheiben mit Eisblumen reich geschmückt. Ein berührendes und bewegendes Fronleichnamsfest. Ein Kirchturm, der durch den Nebel emporragt in hehre Himmelswelten. Die uralte Zeit erwacht zwischen Zeilen, Strophen und Bildern. Das Leben fliesst dahin wie die Lonza.
„Ä Liäbschaft“ ist gemäss Wörterbuch oftmals auch eine Affäre, eine Liaison, eine Romanze oder ein Techtelmechtel. Bernadette Bellwalds Buch ist jedoch viel mehr als ein kurzes Liebesverhältnis zu ihrem Tal. Es ist eine „Hommage“ (französisch homme, von lateinisch homo, „Mensch“). Es ist eine „Huldigung“, ein „öffentlicher Ehrenerweis“ auf ein Tal, auf ihr Lötschental. Eine Hommage, eine Liebschaft fürs Leben, welche die Autorin mit so mancher Talbewohnerin und so manchem Talbewohner teilt. Einige davon haben sich eingetragen in Vor- und Begleitworten.
„Lötschen – eine Liebschaft fürs Leben“ (Lukas Kalbermatten, Blatten); „Ein wunderschöner und einzigartiger Ort, mein Leben zu verbringen“ (Robert Lehner, Ferden); „Es gibt nur ein Tal der Täler“ (Cedric Ritler, Wiler); „Ein Tal, das seinem Herzen innewohnt und zur Heimat wird“ (Thomas Pfammatter, Kippel).
Auszüge aus „Stimmen“ in: „Ä Liäbschaft“. Hommage an ein Tal.
Sergio Rattaggi verbrachte seine Jugendzeit bei seiner Grossmutter im Veneto. In der Deutschschweiz liess er sich zum Möbelschreiner ausbilden. Im Jahr 2004 kaufte er in Kippel „ds Läggsch Huis“, das er seither zusammen mit seiner Frau Bea bewohnt. Beide haben sich in das alte Dorf und ins Tal verliebt. Sergio Rattaggi baut Musikinstrumente und frönt seiner grossen Leidenschaft, dem Fotografieren. Über seine Kunst des Fotografierens schreibt Werner Bellwald: „Einige seiner Fotografien sind wie Aquarell-Malerei; im Nebel zerfliessende Formen, wenn die Nacht dem Tageslicht weicht oder wenn die Dunkelheit hereinbricht, sind die Farben bleich und die Stimmung ausdrucksstark. Wenn wir uns zuweilen nur etwas Zeit nähmen, dann könnten auch wir sehen, was Sergio Rattaggi auf seinen Fotografien festhält. Wir könnten Sommer und Winter, die Leute und den Augenblick spüren und fühlen.“
Bernadette Bellwald, in Ferden geboren, unterrichtete als Heilpädagogin im Lötschental und war auch als Fachfrau für Unterstützte Kommunikation, Beraterin und Kursleiterin bei Insieme Oberwallis tätig. Anfangs August 2019 feierte die Familie Bellwald, mit Mutter Bernadette, Vater Paul und Sohn Daniel, die Vernissage des Bild- und Gedichtbands „Mama, jetz chund d’Sunna“. Das Buch gibt Einblick in das Leben einer Familie mit einem behinderten Kind. Bernadette Bellwald erwies sich dabei als Dichterin, die gekonnt das natürliche Erleben des Kindes auf eine erklärende Ebene hievt. Schon in diesem ersten Buch liess sie sich vom primären Erleben zu philosophischen Traktaten, gegossen in Reim und Vers, animieren. Diesen Prozess führt sie im soeben erschienenen Gedicht- und Fotoband weiter. Ausgehend vom familiären Zusammensein zieht sie in ihrer aktuellen Poesie nun jedoch grössere Kreise, es sind dies Kreise, die sich liebevoll und huldigend über eine ganze Talschaft hinziehen.
Sergio Rattaggi (Fotografien) und Bernadette Bellwald (Texte): „Ä Liäbschaft“ Hommage an ein Tal. Selbstverlag. 1. Auflage 2020, ISBN 978-3-033-08170-3
Text und Fotos: Kurt Schnidrig