Freudestrahlend hält Autor Kurt Studer den zweiten Band seines Romanwerks über die Perren-Schlegel-Saga in den Händen. Das Buch erscheint in diesen Tagen. Zusammen besuchten wir wichtige Schauplätze seines historischen Romans. Das Wohnhaus in der Wichelgasse in Visp aus dem Jahr 1870 steht noch, hier lebten einige der Protagonisten aus der Perren-Schlegel-Saga. Autor Studer führte mich mit Begeisterung von Schauplatz zu Schauplatz und erzählte mir mit viel Enthusiasmus auch all das noch, was aufgrund des umfangreichen Recherchen-Materials in zwei Roman-Bänden nicht mehr berücksichtigt werden konnte. Im rro-Studio in der Visper Pomona stellte sich Autor Studer anschliessend meinen Fragen. Das Gespräch können Sie, liebe Leserin, lieber Leser, am Schluss dieser Blog-Geschichte als Podcast in voller Länge hören.
Was bisher geschah. Im August 2019 erschien der erste Band der Perren-Schlegel-Saga mit dem Titel „Verdammt, Verbannt“. Darin erzählt der Autor eine traumhafte Liebesgeschichte mit einem traumatischen Ende. Im Zentrum steht ein Liebespaar: Johann Schlegel aus Flums im Sarganserland trifft nach dem Ersten Weltkrieg, im Jahr 1919, in Sitten die 14 Jahre ältere Luise Perren. Sie verlieben sich. Noch unverheiratet und also ohne den Segen der katholischen Kirche zeugen Johann und Luise ein Kind. Ausgestossen und verstossen von den Verwandten, von der Gesellschaft und von der Kirche, gebärt Luise unter unsäglichen Qualen ein Kind, ein Mädchen. Es bekommt den Namen Anna. „Verdammt und verbannt“ verliert Mutter Luise nach der Geburt völlig traumatisiert ihre Sprache und fristet sodann ein Leben in geistiger Umnachtung. Johann Schlegel anerkennt Anna als seine Tochter, er lässt das Kind und seine kranke Mutter aber im Wallis zurück. Im Oktober 1920 reist er als Arbeitsloser zurück nach Flums.
Im zweiten Band, er trägt den Titel „Belogen, Betrogen“, begleiten wir als Leser den Vater des unehelichen Kindes, Johann Schlegel, zurück nach Flums. Dort heiratet er die Serviertochter Erna Trütsch. Mit ihr zeugt Johann erneut eine Tochter, sie heisst Paula und wird im Weiler Rüsch, oberhalb von Flums, und später in Berschis grossgezogen.
„Johann hatte armselig gelebt. Er musste sich verschulden. Seine Steuererklärung habe ich auf der Gemeinde Flums einsehen können. Johann Schlegel hatte lediglich ein Einkommen von Fr. 1000.-. Er ist zweimal betrieben worden. Schliesslich hat man ihm die Schuld erlassen. Er war arm und litt derart Hunger, dass er auch mal einen streunenden Hund mit blosser Hand erwürgte um wieder mal ein Stück Fleisch geniessen zu können.“
Autor Studer im Gespräch mit Kurt Schnidrig
Johanns uneheliche Tochter Anna wächst derweil bei Pflegeeltern in St. Niklaus und Visp auf. Beide Töchter erlernen den Beruf einer Damenschneiderin. Aus Scham und aufgrund gesellschaftlicher Tabus werden auf beiden Seiten alle familiären Zusammenhänge hartnäckig verschwiegen. Die uneheliche Anna besuchte in St. Niklaus die Schule. Die Lehrerin, ein „Fräulein“ Bellwald, klärte am ersten Schultag Anna eigenmächtig auf. Sie heisse Anna Schlegel und nicht Anna Imboden, Imboden sei lediglich der Name ihrer Pflegemutter. War die Autorität damaliger Lehrpersonen wirklich derart grenzenlos, dass sie ohne Rücksprache mit den Pflegeeltern ein Kind „aufklären“ durften? „Es blieb damals gar nichts anderes übrig“, beschied mir dazu Autor Studer.
Was geht wohl in einem unehelichen, ungewollten Kind vor? Im Roman lässt die kleine Anna gegenüber ihren Pflegeeltern verlauten: „Ihr liebt mich, aber nicht als eigenes Kind“. Wer selber Kinder grossgezogen oder selber als Pädagoge gearbeitet hat, der wird bei derart „gestelzten“ Aussagen aus Kindermund hellhörig. Doch der Autor widerspricht.
„Bei Kindern ist das Verlangen nach der leiblichen Mutter immer existent. Auch dann, wenn die Pflegemutter ihm Geborgenheit und beste Pflege angedeihen lässt. Das hat mir auf Nachfrage ein Psychiater versichert.“
Autor Studer im Gespräch mit Kurt Schnidrig
„Ein Kind, das den Vater verloren hat, verwahrlost“, sagt de Riedmatten, der Präsident der Vormundschaftsbehörde. Legt diese Aussage die Schlussfolgerung nahe, dass es während der Weltkriege im Wallis kaum „starke Frauen“ gab, so, wie sie der Autor Werner Ryser bereits in seinem mittelalterlichen „Walliser Totentanz“ auftreten lässt? Was für ein Frauenbild er denn in seiner Perren-Schlegel-Saga vermittle, wollte ich von Autor Studer wissen. „Auch in meinem Roman kommen starke Frauen vor“, beteuert er.
„In meinem Roman sind einige sehr starke Frauenfiguren vorhanden. Denken Sie nur an die Pflegemutter Josefine! Sie wehrt sich gegen die Arroganz des Staates, der ihr das Adoptivkind Anna wegnehmen und in ein Heim stecken will. Mit 57 Jahren macht sie in Visp einen Mercerie-Laden auf um als Selbstversorgerin ihre Pflegetochter Anna bei sich behalten zu dürfen.“
Autor Studer im Gespräch mit Kurt Schnidrig
Die uneheliche Anna verliebt sich in Peter. Auf einer Bank am Rebbergweg hinter der Visper Friedhofsmauer versprechen sich Anna und Peter die ewige Liebe. Das Lokalkolorit in Studers Roman ist verblüffend. Der Rebbergweg gilt seit jeher als Spazierweg für Verliebte. Wie viel Autobiographisches denn in seine Story hineingeflossen sei, wollte ich von Studer wissen. „Da sind auch meine eigenen Erinnerungen an Spaziergänge mit meiner Frau auf dem Rebbergweg zum Staldbach hineingeflossen“, gesteht der Autor schmunzelnd.
„Sie streichelte Peters Hand. Eine wohlige Wärme durchströmte ihre Finger, die sich mit den seinen verschlangen. Diese Berührung löste bei ihr ein Wonnegefühl aus. Spontan umschlang sie seine Schultern und drückte ihre weichen Lippen auf seinen Mund. Ihr Herzschlag beschleunigte sich und raubte ihr fast den Atem. Leidenschaft sprach aus ihren Augen.“
Aus: Perren-Schlegel-Saga, Band 2, Seite 140
Die beiden Verlobten wünschten sich eine Heirat ausserhalb der zuständigen Pfarrei Visp. Peter wünschte sich einen Ort, der mit einem bekannten Heiligen in Verbindung steht. Daraufhin empfahl Pfarrer Leo Stoffel dem Brautpaar die Pfarrkirche von Sachseln, die Wallfahrtskirche des Schweizer Nationalheiligen, Bruder Klaus. Ein Problem allerdings galt es dann zusätzlich noch zu lösen. Eine gesetzliche Schranke. Die zivile Trauung konnte damals nur durch das Zivilstandsamt der Wohngemeinde des Bräutigams vollzogen werden. Pfarrer Leo Stoffel zeigte sich als findiger und kumpelhafter Verbündeter des Brautpaars.
„Ich würde das Zivilstandsamt bitten, zwei ihrer Mitarbeiter als Trauzeugen einzusetzen. Diese sind nämlich der Schweigepflicht unterstellt. Gegenüber dem Einsatz von Privatpersonen wäre dies für euch eindeutig ein Vorteil.“
Aus: Perren-Schlegel-Saga, Band 2, Seite 219
Kein „Happy End“ für die Perren-Schlegel-Saga. Nein, einen fiktiven Schluss Hollywoodscher Manier habe er bewusst vermieden, erläutert Autor Studer. „Ich wollte mich an die recherchierten Fakten halten. Und die sind eindeutig.“
Persönliche Einschätzung des Romanswerks. Die Perren-Schlegel-Saga in nunmehr zwei Bänden überzeugt vor allem durch die intensive literarisch-historische Recherche. Das Werk ist in jeder Hinsicht stimmig und lebensecht. Es vermittelt glaubhaft und anschaulich ein Sittenbild des Wallis in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Persönlich fasziniert mich das präzise Lokalkolorit, aber auch die psychologische Motivierung vor allem rund um die ungewollte Schwangerschaft, die im damaligen Wallis eine unerhörte Katastrophe für alle Beteiligten darstellte. Die Roman-Story ist, obschon faktengetreu, auch sehr einfühlend und berührend emotional erzählt. Der Autor verfügt ohne Zweifel über ein gerüttelt Mass an Einfühlungsvermögen. Er bleibt keineswegs an den Fakten kleben, er vermittelt vielmehr seiner Leserschaft gekonnt auch die Innensicht seiner Figuren, ihre Gefühle, ihre Träume, ihre Sehnsüchte. Autor Studer legt ein Romanwerk vor, das farbig und ausdrucksstark das Wallis vor hundert Jahren auferstehen lässt. Ein Erzählwerk auch, das mutig aufzeigt, wie das erzkonservative und katholische Wallis damals mit dem Schicksal eines unehelichen Kindes umgegangen ist: tabuisiert, verachtend und strafend.
Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig